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Predigt zum 3. Advent, den 13. Dezember 2009, gehalten in der St. Anna-Kapelle Zürich
von Pfarrer Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Zürich

Wir haben seinen Stern aufgehen sehen

"Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen
und sind gekommen, ihm zu huldigen." (Matthäus 2,2)

Liebe Gemeinde!

"Woher kommen die Sterne?" fragte der kleine Junge den alten Indianer.
"Der grosse Gott hat mit einer Nadel Löcher in das Himmelszelt gestochen" antwortete der alte Mann.
"Warum hat er das getan?" wollte der Junge wissen.
"Damit die Menschen ein wenig vom goldenen Glanz des Himmels sehen können", sagte der alte Indianer.
"Wie schade, dass der grosse Gott die Löcher nicht grösser gemacht hat!" bedauerte der Junge.

Dieses Privileg haben wir nun, liebe Brüder und Schwestern, seit der Geburt unseres Herrn Jesus! Da kommt ein ganz grosser Stern daher mit dem neugeborenen König der Juden. Und er geht über allen Völkern und Nationen auf.
In Sihlcity haben wir diese Adventszeit unter das Motto "Ich gebe dir einen Stern" gestellt. Damit werden Augen zu Sternen, weil sie Freude zeigen. Freude ist die Nahrung für die Seele.

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Advents-Präsent der Sihlcity-Kirche: "Ich gebe dir einen Stern"
Foto: Jakob Vetsch, 11. Dezember 2009


Sternlichter. Unsere Zeit ist voll von Sternlichtern. Das beginnt mit dem Adventskranz. Er wurde 1838 vom Theologen Johann Hinrich Wichern (1801-1881) im von ihm für Strassenkinder gegründeten "Rauhen Haus" in Hamburg entwickelt. Damals bestand er aus einem Holzreif, ähnlich einem Wagenrad ohne Speichen, mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern. Er trug vier grosse weisse Kerzen für jeden Adventssonntag und 19 kleine rote für jeden Werktag bis zum Heiligen Abend. Täglich wurde während einer kurzen Andacht eine neue Kerze angezündet. Dies, so Wichern, "um auf die Ankunft des Herrn" und das nahende Weihnachtsfest hinzuweisen. Besonderes Augenmerk richtete Wichern dabei auch auf das Sinnbild der Kerzen als "Licht in der Finsternis".
Ausgehend vom Rauhen Haus - die MitarbeiterInnen trugen diesen Brauch auch in ihre eigenen Häuser und Gemeinden - verbreitete sich die Idee des Adventskranzes zuerst in Norddeutschland, bald auch im Süden Deutschlands und in den Nachbarländern. Mit den Emigranten gelangte dieser Brauch dann schliesslich auch in andere Länder.
Erst mehr als zwanzig Jahre nach seiner "Erfindung", etwa um 1860, wurde der Holzreif dann nicht nur mit Kerzen, sondern zusätzlich mit grünen Tannenzweigen geschmückt. Im Lauf der Zeit wurde aus dem Holzkranz der aus Tannengrün geflochtene Kranz, der nur noch mit vier dicken Kerzen bestückt war, so wie wir ihn heute kennen.

"Dein Wort ist eine Leuchte meinem Fuss und ein Licht auf meinem Pfad." So lesen wir in Psalm 119, Vers 105. Alle diese Lichter zeugen von jenem Stern, der über Bethlehem aufgegangen ist. Und "wo ist der neugeborene König der Juden?" – das ist hier die Frage. Um ihn zu sehen, muss man sich offenbar aufmachen, unterwegs sein, raus aus dem Gewohnten. Man muss hingehen, selber schauen – und man wird dann huldigen, lobpreisen und singen. Freude haben, so dass Sternchen-Augen zu sehen sind.
Es ist eine Frage da. Sowas öffnet immer. Von einem Stern, vom Huldigen, vom neugeborenen König ist die Rede. Man macht sich unterwegs, man ist engagiert, man öffnet sich für Neues. Wo das nicht möglich ist, da ist Leben bedroht. Da wird Zukunft getötet, wie es denn später König Herodes einleitet. Da muss man flüchten, da hat man keinen Platz. Da geht es darum, Macht zu behalten, im Recht zu bleiben, den Besitzstand zu wahren.
Nicht so im Evangelium, das ja Gute Botschaft ist. Enorm, wie Jesus das vor 2'000 Jahren praktizierte: Die "message" ist wichtig. Er hat sie voll rübergebracht! Da geht es um eine Nachricht. Und es ist eine gute.
Es bietet Probleme, wenn es nur noch ums Rechthaben geht. Da ist Leben gefährdet. Das will unser Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus nicht. Denn im Grunde der Dinge hat recht, wer mehr liebt.
Hinter diese Botschaft möchten wir nicht mehr zurück gehen. Alles andere gibt Streit und Krieg. Es vergiftet das Blut. Ja, die Substanzen, die im Gehirn bei Streitereien ausgeschüttet werden, machen das Blut unrein. Unsere Sprache weiss das noch. Sie redet von einem vergifteten Klima. Von Gifteleien auch. "Du Giftsprütze." Das kennen wir.

Nachdem wir den neugeborenen König der Juden im Herrn Jesus Christus gefunden haben, möchten wir noch gerne wissen, wo er nicht ist: "Wo ist der neugeborene König der Juden nicht?" Die Antwort ist aufgrund unseres Matthäus-Bibelwortes ganz einfach: Er ist dort nicht, wo sein Stern nicht aufgegangen ist und wo wir nicht hingehen müssen um ihm zu huldigen. Er ist dort nicht, wo Rechthaberei, Intoleranz und Machtgelüste regieren. Er ist dort nicht, wo Herzen zu Steinen geworden sind und einem das Leben sauer gemacht wird. Er ist dort nicht, wo Unerlöstheit herrscht. Wo Menschen Gefangene sind und in Not bleiben. Er ist dort nicht, wo nicht geholfen wird. Wo man sich lustig macht. Wo man Opfer verhöhnt. Wo man verächtlich auf andere Menschen herabschaut. Wo man hochnäsig vorbeigeht oder hochmütig wegschickt. Er ist dort nicht, wo Rassendiskriminierung und Zwietracht herrschen. Er ist dort nicht, wo Gott der Schöpfer, sein Sohn Jesus Christus und der Heilige Geist lächerlich gemacht werden. Er ist dort nicht, wo Ungerechtigkeiten und Schmerzen nicht anerkannt und Opfer verhöhnt werden. Er ist dort nicht, wo man sich über andere stellt. Er ist dort nicht, wo man die Gnade nicht sieht und alles für die eigene Leistung hält. – Er ist an ganz vielen Orten der Erde nicht.
Dort ist Kälte. Dort herrscht Not. Dort fehlt Gemeinschaft. "Wo ist der neugeborene König der Juden?" Er ist dort, wo man ihn einlässt. Wo Gemeinschaft herrscht, wo Wärme und Trost sind. Eben: wo sein Stern aufgegangen ist und wir hingehen und huldigen. In unseren Herzen. In unseren Liedern. In unserem Liebesmahl. In unserer Musik, die von Herzen kommt und zu Herzen findet. Manchmal auch in unseren Fehlern und Irrtümer, wenn sie von Herzen kommen. In unseren Schwächen, weil wir es nicht besser wussten oder konnten. – Ja, recht hat wer mehr liebt!

Wir sind beGEISTert! Weil der Heilige Geist uns ergriffen hat. Weil wir Jesus geschaut haben. Weil wir ihn kennen. Und es ist unsere Aufgabe, von diesem aufgegangenen Stern und von Jesus zu berichten. Nicht im Sinne von Rechthaberei. Aber im Sinne von Erfahrungsberichten und Zeugnissen. Was hat Jesus an uns getan? Was tun wir für ihn?

Meine Lieben: Was viele nicht wissen: Mit der Adventszeit hat auch das neue Kirchenjahr begonnen, das nicht mit dem Kalenderjahr identisch ist. Es ist sehr schön, dass wir es mit einer Vorbereitungszeit auf ein Fest beginnen dürfen, auf das Fest der Geburt Jesu, das Fest der Liebe Gottes zu uns Menschen. Wir Christen feiern es als Fest der Versöhnung Gottes mit uns Menschen, als Fest der Vergebung und des Neuanfanges.
Die Kirchen haben entschieden, das neue Kirchenjahr unter das Zeichen der "Stille" zu setzen. (Nicht unter das Rechthaben). In Sihlcity haben wir einen Raum der Stille, der mitten in der Hektik des Alltagslebens geschätzt wird. Aus der Stille kommt so viel Gutes, weil wir darin zu uns und zu Gott finden können. Dann begegnen wir anderen Menschen gesammelt.
Ob wohl deshalb der chinesische Philosoph Laotse einst sagte: "Stille ist die grösste Offenbarung." – Und der christliche Reformator Martin Luther nachdachte: "Gleich wie die Sonne in einem stillen Wasser gut zu sehen ist und es kräftig erwärmt, kann sie in einem bewegten, rauschenden Wasser nicht deutlich gesehen werden. Darum, willst du erleuchtet werden durch das Evangelium, so gehe hin, wo du stille sein und das Bild tief ins Herz fassen kannst. Da wirst du finden Wunder über Wunder."

Ja, da finden wir den neugeborenen König der Juden. Und wir gehen hin und huldigen und lobpreisen und singen und drücken unsere Freude aus. Jenseits aller Gedanken. Jenseits aller Logik. Jenseits aller Dogmatik. Jenseits aller Lehre. Jenseits allen Rechthabens. – Ganz einfach, weil es so recht ist vor Gott – und ein Riesengeschenk, eine Gnade!

Amen.



Sammlungsgebet

Herr Jesus Christus.
Zu dir kommen wir und in deine Gemeinschaft
an diesem dritten Adventssonntagmorgen.

Du bist es der uns ruft in das Licht der Gemeinschaft
mit dir und unter uns.
Du machst uns zur Kirche, an der wir teilhaben,
die wir leben, die wir auch verwalten.
Um dein Licht weiterzutragen,
um dein Licht zu schützen,
um es anderen zu zeigen,
um selber die Augen des Herzens davon voll zu nehmen.
Um Kraft zu empfangen,
Um Freude zu haben.
Um fast ein bisschen übermütig zu werden,
weil dein Evangelium eine Torheit ist,
jenseits der Weisheit dieser Welt –
und ihr doch dient.
Amen.


Fürbitten

Herr, wir bitten dich für die in der Kälte.
Für die in Einsamkeit.
Für die in Hass.
Für die in Gefangenschaft, was für eine auch immer.

Herr, wir bitten dich für die in der Kälte.
Für die in der Macht.
Für die in der Ohnmacht.
Für die ausserhalb vom Leben.
Für die in Schuld und Unschuld.

Herr, wir bitten dich für uns.
Dass du uns ins Leben rufst,
jeden Morgen neu.
Dass du uns im Leben hältst.
Dass du uns vergibst.
An uns denkst,
und uns nicht vergisst.

Um all das bitten wir dich
im Verein mit der ganzen Christenheit,
der du bist unser Vater im Himmel ...


last update: 18.08.2015