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Depression

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Albrecht Dürer (1471-1528): Melancholia


Die Herzenswunde

Das Loch, in das ich fiel, wurde zur Quelle, aus der ich lebe.
Eine Trauernde

Hast du eine Herzenswunde, so berühre sie so wenig wie ein krankes Auge. Gegen Schmerzen der Seele gibt es nur zwei Arzneimittel: Hoffnung und Geduld. 
Pythagoras

"Ich verlor seit kurzem all meine Heiterkeit, - warum, weiss ich nicht - gab alle gewohnten Übungen auf und, wahrhaftig, es steht so schlimm um meine Stimmung, daß dieser stattliche Bau, die Erde, mir vorkommt, als wär1s ein wüstes Felsenriff. Dieser herrliche Baldachin, die Luft, seht Ihr, diese stolze Wölbung, dies majestätische Dach, ausgelegt mit goldenen Lichtern - ach, mir erscheint1s als der trübe Dunsthauch verpesteten Auswurfs. Was für ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel an Vernunft, wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten; in Gestalt und Bewegung, wie bedeutsam und wunderbar; im Handeln wie ein Engel, im Verstehen wie ein Gott; die Zierde der Welt, das Ziel der Schöpfung! Und doch, was gilt sie mir, diese Quintessenz von Staub? Ich habe keine Freude an den Menschen - ..." 
Hamlet, in: William Shakespeare, Hamlet


Was bist du so gebeugt, meine Seele?
Ein Bild aus dem Stuttgarter Psalter zu Psalm 43,4-5

"Wo ein melancholischer und schwermütiger Kopf ist, der mit seinen eigenen und schweren Gedanken umgeht und damit sich frisst, bei dem hat der Teufel ein zugerichtetes Bad", meinte Martin Luther an einem Tischgespräch. Sein Rezept dafür, den Satan wieder aus der Wanne zu kriegen: Erstmal gründlich nachdenken und beten, danach essen und trinken sowie die Gesellschaft vernünftiger Leute suchen und mit ihnen reden. 
Susanne Schullerus-Kessler: Beruf: Pfarrerin, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 263, 13./14.11.1993

Die Depression ist gleich einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat. 
C.G. Jung zugeschrieben

Diesen Zustand hat jemand einmal so beschrieben: "Man ist tot - aber man weiss es." -

Nach einer tiefen Depression hat Franziskus seinen Sonnengesang und Martin Luther sein Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" gedichtet.

Dass die Clowns, wenn sie die Manege verlassen haben und sich im Wohnwagen abschminken, zu tieftraurigen Menschen werden, ist bekannt. Dass die Schriftsteller, die man Humoristen nennt, im Grund ihres Herzens melancholisch und der Verzweiflung nahe sind, weiss man. Die anderen Menschen zum Lachen bringen ist eine übermenschliche Aufgabe, und so bleibt dem Humoristen für sich selber nicht das kleinste Lächeln übrig. Er gleicht dem Kaufmann, der am Samstag alles den Kunden gibt und am Montag verhungert im Laden liegt. Er verschwendet, was er hat, und obendrein sich selbst. Der Rest ist Schwermut. Obwohl wir das wussten, gingen wir fröhlich pfeifend an die Arbeit. Wir hatten ja nicht die Absicht, selber Humoristen zu werden! Wir wollten nur, ringsum in der Welt, bunte Blumen pflücken und zu einem heiteren Strauss zusammenbinden, nichts weiter. Das konnte nicht so schwer sein, dass wir darüber schwermütig würden. Heute wissen wir es besser. 
Erich Kästner

Besonders gefährlich ist da die Schwermut, welche sich immer wieder einstellt, Hamlets lähmende Melancholie, der böse Hinterhalt der Feinnervigen, der Raffinierten, die ihre groben Instinkte "sublimiert" zu haben scheinen - solange, als die Laune sie nicht zu den übelsten Taten hinreißt. Shakespeare wußte Bescheid. Mit der Schwermut, mit der Niedergeschlagenheit fein organisierter Seelen, die im Schmerzlichen herumwühlen bis zum satirischen und sardonischen Vergnügen daran, mit solcher Gefühligkeit pflegte Bô Yin Râ bei den daran Erkrankten fast streng ins Zeug zu gehen. Er machte selten ein Hehl daraus, daß er solches als sündhaft, zumindest als Nervenunart empfand, dem man gründlich auf den Leib zu rücken hatte. Das bezeugen viele Stellen seiner Schriften und wohl noch mehr Briefe, in denen er den von der Schwermut befallenenen Empfängern den Kopf zurechtsetzt, zart oder derb, wie es der Fall mit sich brachte, immer der unbewußten Magie der Furcht die bewußte Magie der Zuversicht entgegensetzend und den Trost spendend, den die Seele in sich selber frei machen muß:

Trost ist nicht nahe, Trost nicht fern zu finden,
Solang noch Grimm und Groll die Seele binden!
Will sie nicht aus sich selbst Getröstet werden,
Wird ihr gewiss kein Trost Zuteil auf Erden!


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Grafik Oliver Stefan Hug www.ambient.ch


Bô Yin Râ

Besonders aber gab Bô Yin Râ den Zuständen der seelischen Trockenheit und Niedergeschlagenheit derer, die schon längst auf gutem Wege sind, die angemessene Deutung, Aufrichtung und Weisung: 

"Die innere Niedergeschlagenheit ist nichts anderes als eine schon von allen Menschen, die sich in irgend einer Art dem Göttlich-Geistigen zuwandten, immer wieder beobachtete Reaktion, die einzig und allein nur durch Physisches, wie Nerven- und Gehirnermüdung, hervorgerufen wird, und je eher vergeht, je weniger man Gewicht darauf legt. Schon der alte Thomas a Kempis sagt in seiner ´Nachfolge Christi´ dem Sinne nach: Wenn eine Zeit über dich kommt, in der dich alle geistigen Tröstungen verlassen, so daß du glaubst, von Gott in die Hölle gestoßen zu sein, ganz ohne Andacht bleibst und all dein Streben als vergebens empfindest, dann bleibe nur ganz gelassen und zuversichtlich, bete wie du kannst, auch wenn du nichts dabei empfindest als deine Not, und sei sicher, daß du eines Tages deine himmlischen Tröstungen wieder empfängst. Seiner frommen Kirchlichkeit nach erklärt er diese Zustände innerer Hoffnungslosigkeit als ´Prüfungen´, die Gott über die Seele verhänge, um ihre Kraft zu stärken. Und in richtigem Sinn genommen ist er dabei gar nicht so weit von der Wirklichkeit; denn diese geistige Leerheit und scheinbare Verlassenheit ist immer der Vorbote starken geistigen Wachstums. Um Geistiges in uns zu erfühlen, brauchen wir Erdenmenschen quasi als Antenne das sympathische Nervengeflecht, und als Wiedergabe-Membran das Gehirn. Beide sind bei verschiedenen Menschen sehr verschieden belastungsfähig. Hat man nun aber diese Organe eine Zeitlang stark für die Aufnahme geistiger ´Wellen´ in Anspruch genommen, dann erschlaffen sie für diese Tätigkeit und müssen sich unbedingt erst völlig regenerieren, bevor gleiches Erleben möglich werden kann. Alle Ungeduld, alle Angst, es könne nicht mehr kommen, alles zu lebhafte Wünschen und Sehnen, wie erst recht alles Erzwingenwollen, ist nur vom Übel und läßt die Regeneration nicht zustandekommen. Heiteren Mutes, voll Vertrauen und Gewißheit in guten Händen zu sein, müssen Sie Ihrer geistigen Führung sich ruhig überlassen, und gar nicht danach fragen, wann ein solches beseeligendes Erleben wiederkommt! Das können Sie um so eher tun, als ja die geistigen Erlebnismomente nur eine zuweilen auftauchende Zugabe zum geistigen Voranschreiten sind, aber keinesfalls das Wesentliche. Es gibt Menschen, die bis zu überaus hohen geistigen Entfaltungsgraden kommen, aber infolge ihrer psychophysischen Veranlagung niemals zu irgendwelchen geistigen Begleiterlebnissen kamen, denn die geistige, für alle Ewigkeit bleibende Entfaltung hängt von keinerlei Erlebnis ab, sondern nur vom stufenweise erlangten bewußten Sein! Da dieses Sein zwar latent bereits gegeben ist, vor jedem Streben danach, aber nicht bewußt empfunden wird, weil der Mensch sich aus Anlage, Neigung, Erziehung, Lektüre und mancherlei anderen Einflüssen seiner Umwelt ein Pseudo-Sein für seine Empfindung zurecht gemacht hat, - so handelt es sich schon bei dem ersten Schritt um ein Anders-werden-wollen, und zwar nur im Sinne eigener Willens- und Wünschens-Klärung." 

Rudolf Schott, Bô Yin Râ, Leben und Werk, Kober, Bern 1954 und 1979

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Grafik Oliver Stefan Hug www.ambient.ch


Ein wohltuendes Gedicht

Löse dich von Haus und Haft,
Ehe der Herd verglimmt.
Denn zu Gottes Wanderschaft
Bist du vorbestimmt.
Namenloses Zeitenkind,
Baum im Wanderschuh!
Was am Prellstein hockt und sinnt,
Das bist nicht mehr Du.
Gib dich der verborgnen Hand,
Die dich angerührt.
Hebe dich vom Grabenrand.
Geh, du bist geführt.

Werner Bergengruen, Wandlung


Nicht nur Willenskraft und Selbstdisziplin, auch andere Worte haben ihren Sinn für mich verloren. Eigentlich alle Worte, die das im Menschen bezeichnen, was ihn zum Menschen macht: Liebe, Einsicht, Vernunft, Tapferkeit, Freiheit. An manchen Tagen gehe ich nicht mehr ins Büro. Ich liege im abgedunkelten Zimmer in einer Ecke und versuche, apathisch zu sein. Aber auch das ist nicht möglich. Goethes "freundliche Gewohnheit des Daseins" kommt mir in den Sinn. Davon ist nichts mehr zu verspüren. Sie hat sich in eine lästige, qualvolle Ungewohnheit verwandelt. 
Caroline Muhr, Depressionen, 1970, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin


last update: 23.11.2015