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Taufansprache und Predigt vom 11. Juni 2006, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch
in der Kirche von Matthäus-Zürich

Taufansprache: Wasser

Regenwetter kennzeichnete die letzten Wochen, und darum machen wir einige Gedanken zum Wasser, dem Element der Taufe.
Wasser ist auf unserem Planeten Erde in hohem Masse für die Fruchtbarkeit verantwortlich. Es ermöglicht das Leben. Wasser tränkt unsere Wiesen, Äcker und Felder. Es fördert das Wachstum und reinigt die Luft.
Auch der Mensch besteht, wie die Früchte der Erde, zu einem grossen Teil aus Wasser, aus lebendigem Wasser, und deshalb ist es so wichtig, dass die Lebensströme fließen, wie wir zu sagen pflegen.
Wie alles Gute und Schöne kann das Wasser aber auch Gefahr bringen, wenn es die Erde überflutet.
Die ganz grosse Schöpfungstat Gottes besteht darin, dass er den Weltmeeren Einhalt gebot und Grenzen setzte. Daher rührt der bekannte Satz: "Bis hierher und nicht weiter!", das wir im Buch Hiob 38,11 lesen. Wenn wir an die Katastrophe denken, die schon nur eine kleine Verschiebung auslösen würde, dann können wir nicht anders als dankbar sein für diese Schöpfungstat und die Gesetze, denen die immensen Kräfte des Weltalls gehorchen.
Harmonie macht Wasser zu Lebenswasser. Die Kraft des Schöpfers macht es fruchtbar, im wahrsten Sinne des Wortes: Wir Menschen sind aus Wasser geboren, aus dem Fruchtwasser im dunklen Mutterschoss, in welchem wir kunstvoll gewoben wurden und aus welchem wir ans Licht der Welt drängten. Das ist die Geburt des natürlichen Menschen, die erste Geburt. Der Psalmensänger singt im Psalm 139,13: "Du hast mich gewoben im Mutterschoss. Ich danke dir, dass ich so herrlich bereitet bin, so wunderbar; wunderbar sind deine Werke."
Und dann wird der Mensch getauft, mit Wasser, und dieses Taufwasser deutet auf die zweite Geburt hin, auf die Geburt des geistigen Menschen. Angesprochen ist die Gotteskindschaft, zu der wir immer wieder aufs Neue berufen sind. Unser Glaube sagt uns zu, dass wir immer wieder geboren werden dürfen. Wir dürfen den alten Menschen, den wir für uns selbst hielten, ablegen und den neuen Menschen gleich als ein Kleid anziehen. Wir dürfen Unwesentliches hinter uns lassen und zum Wesentlichen vordringen.
Dabei sind wir uns bewusst, dass dieses Wasser ein Hinweis, ein Zeichen ist. Johannes der Täufer taufte mit Wasser, und er sagte: "Es kommt aber der, welcher stärker ist als ich. Er wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen." So lesen wir es im Evangelium nach Lukas 3,16.
Darauf kommt es an, auf den Geist, der uns zur grossen Familie Gottes macht.

Predigt: Abend und Morgen

Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, fünf klug. Die törichten hatten zwar ihre Lampen mitgenommen, aber keinen Ölvorrat, die klugen dagegen hatten außer den Lampen in Krügen noch Öl mitgebracht.
Als nun der Bräutigam länger ausblieb, wurden alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht erhob sich Geschrei: "Der Bräutigam! Kommt heraus, ihm entgegen!" Da erhoben sich die Jungfrauen und richteten ihre Lampen her. Die törichten aber sagten zu den klugen: "Gebt uns von eurem Öl! Unsere Lampen sind am Erlöschen." Die klugen erwiderten: "Dann würde es nicht für uns und auch nicht für euch reichen. Geht doch lieber zu den Händlern und kauft es euch."
Während sie hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam. Die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür ward verschlossen. Endlich kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: "Herr, Herr, mache uns auf!" Er aber erwiderte: "Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht!" Seid also wachsam, denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde!
Matthäus-Evangelium 25,1-13

Im Lied (EKG 850) und auch im Bibeltext haben wir soeben von den klugen Jungfrauen gesungen und gehört. Sie wandern mit ihren Lampen von Mitternacht in den Morgen hinein, bis ein anderes Licht den Schein ihrer Lampen ablöst, nämlich das anbrechende Sonnenlicht am frühen Morgen. Nacht und Tag, Morgen und Abend, das ist das Thema der Predigt von heute.
Es ist Morgen. Das Dunkel der Nacht weicht langsam dem Licht des Tages. Dies ist die Zeit der Dämmerung. Sie lässt uns erwachen. Draußen setzt das Gezwitscher der Vögel ein. Tierwelt und Natur regen sich. Auch der Mensch erwacht zu neuem Leben. Er macht sich an sein Tagewerk. Im Schweiße seines Angesichtes schmeckt ihm auch sein Brot.
Stunden danach neigt sich die Sonne am Horizont. Der Sunset, der Sonnenuntergang hat eingesetzt. Nochmals zeigt sich die Sonne mit all ihren Farben in der Abenddämmerung, ein Bild der Sehnsucht, und dann legt sich das Dunkel auf die Erde, von dem niemand weiß, woher es eigentlich kommt. Die Arbeit wird weggelegt. Der Feierabend ruft, ein spezieller Ausdruck der deutschen Sprache, den man in anderen Sprachen so nicht unbedingt kennt. Ruhe kehrt ein. Die Nacht lädt zur Erholung ein.
Der Wechsel von Abend und Morgen findet auf der ersten Seite der Bibel ausdrücklich und wiederholt Erwähnung. Nach jedem Tagewerk von Gottes großer Schöpfung heißt es monoton und eindringlich: "Und es ward Abend und ward Morgen: ein erster Tag." Dann "ein zweiter Tag", und so fort. Im Wechsel von Abend und Morgen, von Sonnenniedergang und Sonnenaufgang begann der Mensch zu zählen. Das ist der Anfang von Geometrie und Mathematik, des binären Systems auch, auf dem unsere Computerwelt beruht. Die erste Wahrnehmung einer tiefen Ordnung, die im Weltall herrscht.
Von daher können wir auch das bekannte Wort aus Psalm 90,12 neu verstehen: "Herr, lehre uns unsre Tage zählen, dass wir ein weises Herz gewinnen." Es bezieht sich nicht nur auf die Quantität unserer Tage, sondern auch auf ihre Qualität, und es bedeutet: Lehre uns im Wechsel von Tag und Nacht leben. Lehre uns in der Harmonie von Sonnenniedergang und Sonnenaufgang leben. Lehre uns in der Mitte der Zeit zu leben. Lehre uns unserem Leben Sinn zu verleihen.
Abend und Morgen zeigen uns den Weg des Lebens an. Er geht vom Dunkel ans Licht, durch Karfreitag nach Ostern, vom Abend in den Morgen hinein, örtlich gesehen vom Westen zum Osten. Das ist auch der Weg, den wir in so manchen Kirchen beschreiten, die nach Osten ausgerichtet sind. Das ist buchstäblich unsere Orientierung, zu Christus hin, zur Sonne der Gerechtigkeit.
Tag und Nacht, Abend und Morgen. Am Abend legen wir uns zur Ruhe in der Horizontalen. Am Morgen erheben wir uns zum Tagewerk in der Vertikalen. Wir bewegen uns zwischen der ruhenden Waagrechten und der tätigen Senkrechten, welche zusammen das Zeichen unseres Glaubens, das Kreuz, ausmachen. Abend und Morgen sind nicht nur Bezeichnungen für die Zeit, sondern auch für den Raum, für den Westen und den Osten. In Zeit und Raum leben wir im Kreuz. In Zeit und Raum machen wir unsere Erfahrungen und beginnt für uns ein Stück Ewigkeit.
Im Psalm 139,3 heisst es auch: "Ich gehe oder liege, du ermissest es, mit all meinen Wegen bist du vertraut." Das ist die Geborgenheit in Gott. In Christus ist alles aufgehoben, in der Freude und im Leiden werden wir verstanden und gehalten.
So ereignet sich in der Zeit Bleibendes. Darum wollen wir wachsam sein wie die klugen Jungfrauen, Lichtreserven mit dabei haben, die Zeit achten und nützen. Der Evangelist Johannes hat in 9,4 aufgeschrieben: "Wir müssen die Werke dessen, der mich gesandt hat, wirken solange es Tag ist. Denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann."
Wir wollen uns der Liebe Gottes öffnen, der Zeit Sinn verleihen, uns erfüllen lassen, neu werden, auf dass wir durch Christus ins echte, ewige Leben hinein geboren werden.
Denn das Kreuz zeigt mit dem senkrechten Balken auch die Verbindung von Gott und Mensch. Und es zeigt mit dem waagrechten Balken die Verbindung von Mensch zu Mensch. Beides brauchen wir. Wo eines fehlt, ist das Leben unvollkommen. Beides gehört zusammen, die Vaterschaft Gottes und das Geschwister-Sein von uns Menschen.
Dazu segne uns Gott!


last update: 09.10.2015