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Predigt von Pfr. Anselm Burr, gehalten am Sonntag, 14. April 2013 in der Wasserkirche Zürich

Seht die VÖGEL unter dem Himmel..."

"Die Schwalben sind wieder da…" sagte dieser Tage am Telefon eine ältere Dame, die ich seit einem halben Jahr als Seelsorger auf ihrem Weg durch die schwierige Zeit der Demenzerkrankung begleite. Und tatsächlich: zwei Tage später sehe ich sie auch ums Haus herum flirren auf ihrer schnellen Jagd nach Beute. Zwei Gedanken sind – so unerwartet wie die Schwalben – da: 'Wie schön', dass die alte Dame, die vieles in ihrem Leben schon nicht mehr überblickt, diese Freude noch ganz tief erlebt. Schon seit vielen Jahren gilt ihre besondere Liebe und Aufmerksamkeit den Vögeln. Sie hat sich auch dieses Jahr wieder das Datum der Rückkehr der Schwalben in ihre Agenda eingetragen. Und der andere Gedanke: 'Das wäre doch ein Thema für meine nächste Predigt in der Wasserkirche…' Soviel zum Entstehungsprozess der Predigtgedanken zum heutigen Abend-Gottesdienst. Endlich entsprechen die Temperaturen dem so lang herbeigesehnten Frühling – ein grosses Aufatmen kam wohl auch aus Ihrem Herzen an diesem Wochenende!?
Ich habe mich auf die Suche gemacht, wann, wo und in welchem Sinn die Bibel von den Vögeln spricht. Was ich herausgefunden habe, möchte ich heute Abend mit Ihnen teilen.

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Foto einer Darstellung von Fritz Hug: Jakob Vetsch, 22.05.2013

1. Ich war überrascht, wie zahlreich die Bibelstellen sind, an denen von Vögeln die Rede ist. Ebenso überrascht bin ich hin und wieder, wenn ich selbst mitten in unserer Stadt hoch oben einen Milan seine Kreise ziehen sehe, oder direkt an der Strasse in einem Gebüsch eine ganze Horde von Spatzen kreischen und lärmen höre. Vögel sind auch heute bei uns allgegenwärtig – ganz besonders in dieser Stadt, die am Wasser gebaut ist.

2. Die Aufforderung Jesu in der Bergpredigt: "Sehet die Vögel…" wäre eigentlich gar nicht nötig. Schon immer haben Menschen die Vögel beachtet und aus deren Verhalten Schlüsse gezogen oder in ihrem Verhalten ein Bild für sich selbst, eine Art ‚Spiegel’ gesehen. Die beiden Psalmen – den einen (104) haben wir eben gebetet, den anderen (102) finden Sie auf Ihrem Liturgieblatt – zeigen das deutlich. Mehr noch: sie lassen erkennen, wie unter-schiedlich die ‚Botschaft’ der gefiederten Freunde an uns sein kann: je nach Stimmung laden sie zu unbekümmerter Hingabe an Gottes Fürsorge ein, oder sie werden zum Inbegriff ruheloser Sorge und menschlicher Existenzangst. Es hängt sehr von der entsprechenden Interpretation ab, die wir ihnen geben – oder die der Geist Gottes, der bekanntlich weht wann und wo er will, uns nahelegt oder gar aufdrängt.

3. צִפּוֹר ṣippôr "Zwitscherer" heissen im AT die kleineren Vögel, ein lautmalerischer Begriff – das "Zipp-Zipp-Zipp"  klingt deutlich heraus. Die Vögel repräsentieren einen besonderen Bereich der Welt, den Luftraum / Himmel, in dem sie sich bewegen. Sie sind ebenso wie anderen Tiere einerseits von Gott geschaffen (Gen. 1, 20) ‚Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigen Wesen, und Vögel sollen fliegen über der Erde an der Feste des Himmels’. Andererseits sind sie in des Menschen Obhut gestellt (Gen. 6, 19 f ) 'Und von allem, was lebt, von allem Fleisch, bringe je zwei in die Arche, um sie mit dir am Leben zu erhalten. Je ein Männchen und ein Weibchen soll es sein. 20 Von den Vögeln nach ihren Arten, vom Vieh nach seinen Arten, von allen Kriechtieren auf dem Erdboden nach ihren Arten sollen je zwei zu dir kommen, damit du sie am Leben erhältst'..  Mehr noch: sie leisten dem Menschen auch einen Dienst: Tauben und Raben sind Navigationshelfer für Seefahrer (vgl. Gen 8,8f) ‚Und nach vierzig Tagen öffnete Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, 7 und liess einen Raben hinaus. Der flog hin und her, bis das Wasser auf der Erde weggetrocknet war. 8 Dann liess er eine Taube hinaus, um zu sehen, ob sich das Wasser vom Erdboden verlaufen hätte. 9 Aber die Taube fand keinen Ort, wo ihre Füsse ruhen konnten, so kehrte sie zu ihm in die Arche zurück, denn noch war Wasser überall auf der Erde. Da streckte er seine Hand aus, fasste sie und nahm sie zu sich in die Arche’.

4. Mit mehreren Vogelarten verbindet die Bibel besondere Konnotationen. So gilt die Taube als Liebesbotin (Hhld 1,15;  4,1), wie überhaupt die Vögel als Boten angesehen werden können, so z.B. in Ps 68,12-14, wo festlich geschmückte Tauben die freudige Nachricht vom Sieg JHWHs in alle Welt tragen.  Geier werden häufig mit Gerichtsvorstellungen in Verbindung gebracht. Raben und Eulen, die einsame, unbewohnte Gegenden und Ruinen als Lebensraum bevorzugen (vgl. Zef 2,13f; Ps 102,7; Jes 34,11ff), gelten als Exponenten einer gegenmenschlichen, mit dämonischen Zügen ausgestatteten Welt.

5. Beobachtungen aus dem Leben der Vögel werden häufig auch auf zwischenmenschliche Beziehungen angewendet: wie Vögel durch Steinwürfe verscheucht werden, wird die Freundschaft durch Schmähreden unwiederbringlich zerstört (Sir 22,20) 'Wer mit Steinen nach Vögeln wirft, verscheucht sie; wer den Freund beschimpft, vertreibt die Freundschaft'. Der leichtfertig verschuldete Verlust eines Freundes gleicht einem Vogel in der Hand, den man loslässt (Sir 27, 19): 'Denn wie ein Mensch, der seinen Besitz vertan hat, so hast du die Freundschaft des Gefährten vertan. 19 Und wie man einen Vogel aus der Hand wegfliegen lässt, so hast du den Freund weggehen lassen und fängst ihn nie wieder ein'. Es gibt kein Zurück. Die enge Verbindung des Wahrheitsliebenden mit der Wahrheit ist dagegen wie das gesellige Miteinander der Vögel (Sir 27,9) 'Vögel lassen sich bei ihresgleichen nieder; Treue kommt zu denen, die sie üben.' Vogelmetaphorik findet sich auch bezogen auf JHWH: So zeichnet Jes 31,5 JHWH, der Zion / Jerusalem beschützen wird, im Bild von Vögeln, die über ihren Nestern hin- und herflattern und ihre Brut so vor Gefahren schützen: 'Wie schwebende Vögel wird der HERR der Heerscharen Jerusalem beschützen, beschützen und retten, verschonen und davonkommen lassen'.

6. Auch in die Umgangssprache hat die Vogel-Metaphorik den Weg gefunden. "Der hat ja einen Vogel…"sagen wir, wenn uns das Verhalten eines Mitmenschen unverständlich,  seine Ängste unbegründet erscheinen. Wir gehen also davon aus, dass in seinem Kopf eine Stimme 'zwitschert', die wir nicht kennen und die ihn zu diesem unverständlichen Verhalten inspiriert.

7. Damit sind wir ganz in die Nähe der urchristlichen Symbolik für die Inspiration durch den Heiligen Geist geraten: als Vogel, meist als Taube, erscheint er auf alten Darstellungen. Aus dieser Perspektive kann man dem Schmähwort vielleicht auch etwas überraschend Positives abgewinnen. Soweit der biblische Befund, liebe Gemeinde.

8. In einem letzten Abschnitt meiner Predigt möchte ich ganz in die Realität des Lebens in der Stadt Zürich in den heutigen Tagen treten: wo, wie, wann begegnen wir den Vögeln und welche Botschaften vernehmen wir in unseren Herzen, wenn wir mit beiden Augen hinsehen und uns inspirieren lassen?
a) Wie andere Tierarten haben auch die Vögel eine manchmal überraschende Fähigkeit der Anpassung. Längst ist die Stadt zu ihrem Revier geworden. Es soll vorgekommen sein, dass Milane sich die Bratwurst vom Grill holen statt der Mäuse auf den längst überbauten Wiesen. Sollten wir uns als Christen, als Kirche nicht auch fit halten für das Leben und Bekenne in der Stadt?
b) Für uns Zürcher ist der See wohl der Ort, an dem wir am meisten Vögeln begegnen, sie wahrnehmen. Wasservögel eben. Ich finde, gerade sie haben eine besondere Botschaft. Sie sind in beiden Elementen 'zu Hause', auf und im Wasser und in der Luft. Hier sind sie unschlagbar, wendig, laut und lebensfroh. Nur an Land, auf der Erde, können wir sie einholen. Die Aufforderung gilt uns: finde heraus, wo du stark bist. Freu dich daran. Und wenn es noch ein zusätzliches Element gibt, das dich beseelt, umso besser!
c) Bestimmten Vogelarten können wir nur im Zoo, im Tiergarten begegnen. Sie benötigen Schutz und besondere Bedingungen, die sie sonst nicht vorfinden. Exotische Farben und Formen, die uns ins Staunen versetzen können. Vielleicht stellen sie uns die Frage nach unserer Versöhnungsbereitschaft mit Menschen, die aus dem Rahmen fallen, vielleicht sogar die Versöhnung mit den eigenen exotischen Bereichen unseres Wesens, unserer Seelen.

"Sehet die Vögel…" Das ist nicht nur die Aufforderung zu mehr Sorglosigkeit in unserer durchorganisierten Welt. Es ist vor allem die Zumutung, uns nicht isoliert als die ‚Krone der Schöpfung’ zu betrachten, sondern uns als eingebettet zu erleben in ein Spiel des Lebens, das Himmel und Erde, Meer und Berge, Flüsse und Seen, Menschen und Tiere gemeinsam spielen zur Ehre Gottes, des Vaters und Schöpfers alles Lebendigen.           
Amen.



WOCHENSPRUCH:
 
"Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige Leben."
Johannes 10, 11 ff

Lied 10, 1 - 5 "Wie lange willst du…"

Gebet 130 Psalm 104, 1 - 17  (im Wechsel)

ORGEL        

Lesung Sprüche 6, 1 - 19
Hinweise und Warnungen

Lied 791, 1-5 "O Jesu Christe, wahres…"

PREDIGT "Seht die VÖGEL unter dem Himmel…"
               
ORGEL        

Gebet       

Lied 7,1–5+8 "Wie herrlich gibst du..."

Fürbitte und Unser-Vater-Gebet     

Mitteilungen

Lied 599,1–5 "Der Mond ist aufgegangen.."
           
Segen    
Geh' in der Kraft, die dir gegeben ist:
Geh' einfach, leichtfüssig, zart.
Halt' Ausschau nach der Liebe.
Gottes Geist geleitet dich.
Amen

Orgel                  

Kollekte für Menschen in Not, hier in der Stadt

HINWEISE:
Dienstag 07.30 Uhr Morgengebet
Dienstag 12.15 Uhr Abendmahl am Mittag
 
Psalm 102
1 Gebet eines verzweifelten Menschen, der sein Leid dem Herrn klagt. 2 Herr, höre mein Gebet und vernimm mein Schreien! 3 Wende dich nicht von mir ab, wenn ich in Not bin. Höre mich und antworte mir schnell, wenn ich zu dir rufe, 4 denn meine Tage vergehen wie Rauch und mein Körper brennt wie Feuer. 5 Mein Herz verdorrt wie Gras, auf nichts habe ich mehr Appetit. 6 Mein unablässiges Klagen hat mich bis auf Haut und Knochen abmagern lassen.
7 Ich bin wie eine Eule in der Wüste, wie ein Käuzchen in Ruinen. 8 Ich liege schlaflos, ich bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dach. 9 Tag für Tag verhöhnen mich meine Feinde. Sie verspotten und beschimpfen mich. 10 Ich esse Asche statt Nahrung und fülle meinen Becher mit Tränen 11 über deinen Zorn und deine Wut, denn du hast mich aufgehoben und zu Boden geworfen. 12 Mein Leben schwindet dahin wie ein Schatten am Abend. Ich bin wie Gras, das vertrocknet.

Bergpredigt Matthäus 6, 25 – 27
25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen werdet, noch um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Schaut auf die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen - euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht mehr wert als sie?
27 Wer von euch vermag durch Sorgen seiner Lebenszeit auch nur eine Elle hinzuzufügen?

Gebet: Wenn selbst die Vögel zu Boten werden, mein Gott, dann lass mich ihre Stimme hören als sei es die deine. Dann öffnet sich mein Herz und Vertrauen ist möglich. Dann trägt meine Seele die Weite des Himmels und die Kraft der Erde gleichermassen in sich. Dann jubelt mein Herz und in der Angst schmiegt es sich in deine gute, schützende Hand. Dir gehöre ich.     Amen.


last update: 24.05.2013