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Predigt zum Gottesdienst am Sonntag, 30. Dezember 2012
um 18:00 Uhr, gehalten in der Wasserkirche, Zürich,
durch Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche


Von der Befreiung durch den Glauben

Predigtwort:
"Reiss ab vom Himmel Tor und Tür,
reiss ab, wo Schloss und Riegel für."
Aus dem Lied 361,1b

Liebe Gemeinde!

Wir leben im Weihnachtsfestkreis und beginnen bald ein neues Kalenderjahr. Der Gottesdienst von heute Abend soll denn auch eine kleine Christfeier sein, hat doch der Reformator Martin Luther sogar über die Altjahrabendfeier einmal gesagt, sie mache eigentlich nur als Christfeier einen Sinn. Machen wir das doch auch heute so, am Tag vor Altjahrabend.

Da muss ich Ihnen etwas erzählen: Als erstes Adventslied im dienstäglichen Morgengebet hier in der Wasserkirche haben wir das klassische Lied "O Heiland, reiss die Himmel auf" gesungen. Unser Predigtwort "Reiss ab vom Himmel Tor und Tür, reiss ab, wo Schloss und Riegel für" ist daraus entnommen.
Es fällt auf, dass aus dem Lied Dringlichkeit und Eile sprechen. Die erste Strophe enthält das Wort "reiss" ganze drei Mal. Eine grosse Not liegt der Dichtung zugrunde und eine enorme Sehnsucht nach Erlösung.

Was wenige wissen: Der Jesuitenpater Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) verfasste die Strophen im Jahre 1622 unter dem Eindruck des Schicksals jener Frauen, welche er durch die schrecklichen Hexenprozesse begleitete. Spee veröffentlichte – zunächst anonym – eine Schrift ("Cautio Criminalis") gegen die furchtbare Praxis, Geständnisse durch Folter zu erzwingen. Damit trug er entscheidend zur Beendigung des Hexenwahns im deutschen Sprachgebiet bei. Ebenso tobte bereits der Dreissigjährige Krieg, der noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht hatte.
Wenn man sich dessen bewusst ist, wirken die Aussagen des Liedes nochmals ganz anders. Es sprechen tiefe Verzweiflung, Gewissensnot und eine grosse Sehnsucht nach Befreiung und der Durchsetzung der Wahrheit daraus.
Das ist etwas zutiefst Ernsthaftes und auch heute noch Hochaktuelles. Es gibt ein hohes Potential an Gewalt und Unrecht in der Welt. So viel, dass die Schreie nach Freiheit zuweilen ganz verstummen und der Resignation Platz machen. Das darf nicht sein, solange wir uns der Botschaft der Bibel verpflichtet fühlen, und zwar der ganzen.
Es ist bezeichnend, dass die Hintergründe welche zu diesem Lied geführt haben, bis heute nicht stärker ins Bewusstsein der singenden Gemeinde gedrungen sind. Und es ist bezeichnend, dass ihr Verfasser in seiner Klage auf Prophetenworte zurückgegriffen hatte.
Etwa auf Jesaja 45,1-8. Dort heisst es: "Tore werden nicht verschlossen bleiben, Türen zerbreche ich, Riegel schlage ich in Stücke (...) Ergiesse dich, Himmel, von oben, und die Wolken sollen überfliessen vor Recht! Die Erde soll sich öffnen, damit sie Heil tragen als Frucht, und zugleich lasse sie Gerechtigkeit spriessen!"
Und auf Jesaja 63,19b: "Hättest du doch schon den Himmel zerrissen, wärst du schon herabgestiegen, so dass die Berge vor dir erbebt wären."
Freilich richtet sich der Notruf des Dichters an den Erlöser und Befreier selbst, an den Heiland, an Jesus Christus.

Liebe Brüder und Schwestern, beim Bild "Tor und Tür" bleibe ich in diesen Tagen noch etwas hängen. Weil der Jahreswechsel kommt.
Ein anderer Liederdichter, einer aus unserer Zeit, nämlich Karl Friedrich Barth (geb. 1938), schrieb in "Türen des Lebens":

"Dein Leben ist Zeit, die vergeht.
Dein Leben ist auch ein Weg,
der von einem Raum
in den anderen führt.
Du gehst immerfort durch Türen.
Und wenn du durch eine Tür
getreten bist,
verlässt du den Raum,
aus dem du kommst,
lässt ihn hinter dir."

Dass man sich nicht alle Türen offen halten kann, darauf hat Paul Roth (geb. 1925) hingewiesen:

"Man kann sich nicht ein Leben lang
die Türen alle offen halten,
um keine Chance zu verpassen.

Auch wer durch keine Tür geht
und keinen Schritt nach vorne wagt,
dem fallen Jahr für Jahr
die Türen eine nach der andern zu.

Wer selber leben will, der muss entscheiden,
mit JA und NEIN im Grossen und im Kleinen."

Es wartet auf uns der Januar. Er hat seinen Namen vom römischen Gott Janus. Dieser beschützte die Türen und die Tore. Er wird mit zwei Gesichtern dargestellt. Das eine späht nach innen. Das andere kann nach draussen sehen. Darum heisst der kommende Monat Januar. Wir schreiten durch die Jahrestür. Wenn wir nicht nach drinnen und nach draussen sehend verharren wollen, müssen wir das mit Entschlossenheit tun. Nur dann gibt es etwas Rechtes.
Jesus sagt, er sei die Tür, und wenn jemand durch ihn hineingeht, werde er gerettet werden und ein- und ausgehen und Weide finden (Johannes 10,9). Er sagt an jener Stelle im Johannes-Evangelium weiter der Dieb komme nur um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Er jedoch sei gekommen, damit wir das Leben in Fülle haben. Und er sei der gute Hirt.

Mit solchen Bildern und mit diesem Geist will ich zielbewusst durch die Türe zwischen den beiden Jahren schreiten. Ich möchte mit Jesus und dem Bild vom guten Hirten im Neuen Jahr ankommen. Ich will es mit seinem Geist der Vergebung und der Liebe tun und in der Gemeinschaft mit vielen Brüdern und Schwestern in der Fülle Gottes leben.

Und noch etwas: Ja, ich will es ganz bewusst singend tun. In einem Adventsbrief, der bei mir im Büro der Kirche von Sihlcity angekommen ist, wurde der Neuro-Biologe Gerald Hüther zitiert: "Singen ist Balsam für die Seele und Kraftfutter für das Gehirn ... Singen macht das Herz frei und gemeinsames Singen macht froh und verbindet."
Der Wissenschaftler macht denn auch darauf aufmerksam, dass Singen ein gutes Training für die Selbststeuerung sei, Integrationsprozesse erleichtere, Wunden heile, Jung und Alt zusammenführe, bei Kindern den Spracherwerb erleichtere sowie die Weitergabe von Kulturleistungen fördere.
Er kommt zum Schluss: "Es ist eigenartig, aber aus neurowissenschaftlicher Sicht spricht alles dafür, dass die nutzloseste Leistung, zu der Menschen befähigt sind – und das ist unzweifelhaft das unbekümmerte, absichtslose Singen – den grössten Nutzeffekt für die Entwicklung von Kinderhirnen hat. Darüber lohnt es sich, etwas länger nachzudenken."

Singend durchschreiten wir zusammen in Jesus Christus den Weihnachtsfestkreis bis zum Kommen der Drei Könige am 6. Januar. Gleichzeitig durchschreiten wir die Tür vom einen Jahr ins andere. Und wir sind dankbar, dass es Befreiungs- und Liebeslieder sind aus dem unendlich grossen Füllhorn Gottes, das für uns und alle Menschen bereitsteht.

Amen.


last update: 22.12.2012