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SCHWULE und LESBEN


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Die Kirche sollte sich nach Worten von Papst Franziskus bei Homosexuellen, Armen und anderen vernachlässigten Menschen entschuldigen.

"Die Christen sollten dafür um Vergebung bitten, dass sie viele falsche Entscheidungen begleitet haben", sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Sonntagabend auf dem Rückflug von seiner dreitägigen Armenienreise, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete.
Er schloss auch vergewaltigte Frauen und ausgebeutete Kinder mit ein. Mit Blick auf Schwule und Lesben wiederholte der 79-Jährige, sie dürften nicht diskriminiert werden. "Sie müssen respektiert und seelsorgerisch begleitet werden."

"Wer sind wir zu urteilen?" fragte der Papst laut Ansa und benutzte dabei eine ähnliche Formulierung wie auf seiner ersten Auslandsreise nach Brasilien 2013. Damals sagte er: "Wenn jemand Gott mit gutem Willen sucht, wer bin ich, dass ich urteile?"

sda, 27.06.2016



WARUM BEFÜRWORTEN DIE REFORMIERTEN HOMOSEXUALITÄT?

Frage: Warum befürwortet die reformierte Kirche homosexuelle Beziehungen, obwohl sie in der Bibel abgelehnt werden? Was sagt die Bibel über die Tiefen des männlichen und weiblichen Wesens, über deren Unterschiede und die gegenseitige Ergänzung?

Antwort: Wir sollen auf die Schrift hören, einverstanden! In der Vorrede der Zürcher Bibel von 1531 steht dazu der denkwürdige Satz: "Der die Worte der Schrift nur liest und auf den Sinn und Geist nicht achtet, der irrt mehr, als der, der sie nicht gelesen hat." Sie sagen, die Bibel sei gegen Homosexualität. Ist sie das? Gleichgeschlechtliche Beziehungen werden jedenfalls nirgends erwähnt. Bei Themen wie Reichtum oder Fremdenfeindlichkeit poltert die Bibel drauflos, und wir stellen uns taub.
Die Liebe zwischen zwei erwachsenen Männern - von Frauen ganz zu schweigen - ist schlicht kein Thema oder allenfalls ein biblisches Flüstern. Und wir machen daraus ein Thema, das Kirchen spaltet. Dabei geht es dort, wo explizit homosexuelle Praktiken verurteilt werden, um Vergewaltigung (Dt. 19,5), Tempelprostitution (Dt. 23,18), kultische Unreinheit (Lev. 18,22) oder Sex mit Knaben (1. Kor. 6,9). Hier gibt es nichts zu befürworten. Die reformierte Kirche sagt vielmehr - im Geist des Evangeliums - Ja zu den Menschen, die sexuell anders ticken und deswegen lange Zeit kriminalisiert oder für krank erklärt wurden.
Für mich ist das kein Grund, die Tiefendimension der Geschlechterdifferenz zu leugnen. Die Liebe zwischen Mann und Frau ist ein Gleichnis für die Liebe zwischen Christus und der Kirche (Eph. 5,31). In der Schöpfungsgeschichte steht der Spitzensatz (Gen. 1,27): "Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, als Mann und Frau schuf er sie." Haben wir den revolutionären Tiefensinn dieser Aussage wirklich verstanden, wenn wir daraus ein Verbot der Gleichgeschlechtlichkeit ableiten? Von Christus, dem Ebenbild Gottes, heisst es, in ihm sei weder Mann noch Frau noch Jude noch Heide (Gal. 3,28). Also gilt auch: In ihm ist weder homosexuell noch heterosexuell. Ich meine, diese Auslegung achte auf den Sinn und Geist der Heiligen Schrift.

Ralph Kunz ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich
Quelle: reformiert. / www.reformiert.info / Januar 2016





EIN VORTRAG VON FRANK LORENZ

ehemals Leiter der Projektstelle für alternative Lebensweisen
der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt

Referat zur Synode 
der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons Aargau 
Versöhnung - Homosexualität
Homosexuelle in Kirche und Gesellschaft


Ich freue mich, zum Gelingen einer Synode beitragen zu können, deren Thema "Homosexualität" ist, deren Titel aber "Versöhnung" lautet.

Eingangs gilt es - im Sinne des Begriffs "Versöhnung" - eines festzuhalten: Homosexuelle Männer und Frauen waren und sind schon immer Teil der Kirchen, und stehen nicht aussen vor, und fordern Einlass. Das wirkliche Problem, das homosexuelle Männer und Frauen in den Kirchen haben, ist, dass sie in den Kirchen - wie so genügend andere Kirchenmitglieder - nicht vorkommen. Es wird geplant und gepredigt, als wenn unsere Gesellschaft noch immer vor allem aus Kleinfamilien (Mutter, Vater und zwei Kindern) aufgebaut wäre. Alle anderen Liebes- und Zusammenlebensformen gelten dann natürlich als "Randständige", und werden dementsprechend behandelt.

Die gesellschaftliche und kirchliche Mitgliederrealität sieht aber schon seit einiger Zeit anders aus. Was innerkirchlich noch weitgehend als normal angesehen wird ist soziologisch eine - wenn wahrscheinlich auch die grösste - Minderheit. Eine nicht geringe Zahl an KirchenmitgliederInnen denkt an Austritt, und es kann nicht verwundern, dass die meisten der Austrittswilligen eben aus dieser Sozial- und Altergruppe stammt, die nicht mehr vorkommt in der Kirche: Es sind dies die 20 bis 45-Jährigen, die unverheiratet sind, oder in nicht registrierter (homo- oder heterosexuellen) Partnerschaft, als Geschiedene oder getrennt Lebende, oder als Ein-Eltern-Familie leben. Deren Anliegen und deren Weltsicht fliesst in kirchliche Aeusserungen, wenn überhaupt, nur durch Kollektenankündigung oder in sog. "Spezialgottesdiensten" ein. In diesem theologischen und soziologischen Filter, den sich die Kirchen - in Verkündigung und Angebot - geben, liegt sicher einer der Hauptgründe, dass diese Leute, die nebenbei auch noch sehr zahlungskräftig sind, ihren Austritt geben.

Sie merken, ich weigere mich, das Thema der homosexuellen Männer und Frauen, der Schwulen und Lesben, wie die gängige Selbstbezeichnung lautet, in den Kirchen getrennt von anderen Phänomen zu verhandeln.

Ihr Synodentitel "Versöhnung" wird nur Wirklichkeit werden, wenn das übergeordnete Ziel christlicher Kirchen wieder in den Blick kommt: Zeichen für die Gegenwart Christi sein, also "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" sich verwirklicht. "Versöhnung" darf nicht eine blosse Geste der einen Seite gegenüber einer anderen sein: Die drinnen holen die draussen wieder rein. "Versöhung" der Kirchen mit anderen Lebens- und Liebensweisen wird - richtig verstanden - auch die Versöhnung der Kirche mit sich selber, mit ihren eigenen Zielen und Werten sein. Denn schliesslich beschreiben wir ChristInnen uns analog dem Paulus-Wort als "ein Leib und viele Glieder" (1. Kor. und Röm. 12 u.a.). Es geht um eine, sicher manchmal schwierige Einheit in der Vielfalt, um eine Kirche auch, die nicht schiedlich-friedlich darauf wartet, vergessen zu werden. Wir brauchen eine Kirche, die u.a. deutlich Stellung bezieht, auch sich vor einem internen Dissens nicht scheut, um wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen, um im gegenwärtigen Prozess der Individualisierung Antworten zu geben, um prophetisch und geistlich den Dienst zu tun, den ihr Christus aufgetragen hat: "Gehet in alle Welt(en) und verkündet das Evangelium allen" (Mk. 16,15) und "Seid immer bereit, Rechenschaft abzulegen von der Hoffnung die euch erfüllt" (1. Pt. 3, 15).

Machen wir uns bei der Diskussion um schwule und lesbische ChristInnen also klar, dass hier - pars pro toto (Der Teil steht für das Ganze) - andere wichtige Themen mitverhandelt werden.

1) Homosexualität und Bibel

Ich behaupte zuerst, dass die oft zitierten 7 Bibelverse nichts aussagen über konstitutionelle und partnerschaftliche Homosexualität, wie wir sie heute kennen. Sie beinhalten darum nur sehr wenig, das für eine heutige Stellungnahme von Kirchen zu gleichgeschlechtlich Liebenden und Lebenden wichtig sein könnte.

1.1) Im Alten Testament

Ueber die weibliche Homosexualität wird in der Bibel überhaupt nichts ausgesagt, sie wird nicht wahrgenommen, da Frauen keine eigene Sexualität zugebilligt wurde. Männliche Homosexualität wird nur an vier Stellen im Alten Testament und an drei Stellen im Neuen Testament unmissverständlich negativ beurteilt. Hinter all diesen Versen steht eine Sexualmoral, die einzig und allein durch - eine archaische und quasireligiöse Vorstellung von - Phallus und Sperma definiert sind. (Fussnote: Wir finden die Belegstellen besonders im Heiligkeitsgesetz. Es wird die homosexuelle Praxis zwischen Männern aus folgenden Gründen verboten:

1) Hs Praxis ist ein "Greuel" (3. Mose 18,22; 20,13), korrekt übersetzt ein Tabubruch, weil der rituell geregelte Kontakt mit der Lebensmacht, dem Sperma, durchbrochen wird. Im gleichen Atemzug wird z.B. der Verkehr mit einer Frau während ihrer Menstruation verboten. Alle an solchen Tabubrüchen beteiligte Personen müssen mit dem Tode bestraft werden. Heute limitiert den Geschlechtsverkehr mit einer Frau, deren Monatsblutungen eingesetzt haben, einzig und allein die betreffende Frau selber.

2) Verstoss gegen das Gebot des Ewigen "Seid fruchtbar und mehret euch" (1. Mose 1,28), wonach sexuelle Askese eines Mannes ethisch fast wie Tötung bewertet wurde. Im heterosexuellen Bereich gilt eine verantwortungsvolle Familienplanung als selbstverständlich, in gewissen Ländern sogar als lebenswichtig. Wiederum: siehe oben. Gleiche Auslegung aller Bibelstellen, bitte!

3) Homosexualität ist eine Ersatzhandlung "beim Manne liegen wie bei der Frau": Die heutige Thoraauslegung sagt sehr richtig, dass dies nicht gegen partnerschaftliche Liebe zwischen Männern gerichtet sein kann, weil da der Mann bei seinem Freund nicht wie bei einer Frau liegt, sondern diese ihre Sexualität ganz anders gestalten: eben nicht als Ersatzhandlung.

(vgl. dazu auch Stuhlmann, R. in: Wiedemann, H.G. (Hg.) Homosexuell, Stuttgart 1995, S.107 ff.)

Die homosexuelle Praxis verletzt - verkürzt gesagt - die Gebote des Patriarchats, nicht die Gebote Gottes. Nur wer das eine mit dem anderen vermischt oder verwechselt, wird behaupten, dass Gott homosexuelle Verhalten verbietet.

1.2) Im Neuen Testament

Im Neuen Testament wird von Paulus auf diese atl. Stellen Bezug genommen (Röm. 1, 27). Er beschreibt verschiedene Praktiken in der "Völkerwelt" (auch "Heiden") als Folge dessen, dass sie nicht den lebendigen Gott verehren, sondern Götzendienst treiben.

Die Logik des Paulus besagt, dass Homosexualität für Paulus ein Fehlverhalten ist, das auf ein Fehlverhalten gegenüber Gott folgt.

(Fussnote: Im Kontext stellt Paulus mehrfach sein Verständnis von Natur und Natürlichkeit unter Beweis, indem er verlangt, dass Männer kurze Haare zu tragen haben und Frauen lange, die Frau in der Gemeinde den Kopf bedeckt haben muss (1. Kor. 11,16). Später dann bringt er sogar bis zur Aussage, die Frau habe in der Gemeinde zu schweigen (1. Kor. 14,34). In 1. Kor 6,9 und 1. Tim 1,10 werden in sog. Lasterkatalogen "Knabenschänder" und "Lustknaben" erwähnt, in Parallelstellung zu Männern, die die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen. Die gleichgeschlechtliche Sexualpraktik rückt in die Nähe der im Hellenismus verbreiteten Tempel-Prostitution.)

Paulus benutzt dafür die Wörter "vertauschen" und "entehren": Durch mann-männliche Sexualität entehrt der eine Mann den anderen logischerweise darum, weil er vorher Gott die Ehre verweigert hat. Götzendienst und Homosexualität bedingen sich für Paulus gegenseitig. Dahinter steht die Vorstellung, dass einer von beiden gesellschaftlich durch den Sexualverkehr zum Sklaven oder Kind wird oder gar die Frauenrolle erhält, also auf eine viel tiefere Stufe gestellt wird. Es ist übrigens kein Jesuwort bekannt, das sich gegen Homosexualität richtet.

1.3) Fazit

Wenn wir die innere Logik der biblischen Argumentation befolgen und auch eine konsequente und gleiche Auslegung der Bibelstellen über hetero- und homosexuelles Verhalten betreiben, kommen wir zum Schluss, dass die Bibel nichts über konstitutionelle oder partnerschaftliche Homosexualität und homosexuelle Liebe sagt.

Meine Damen und Herren: Nicht nur aufgrund dieses Befundes müssen wir uns doch jetzt fragen, was der Grund ist dafür, dass Kirchen und Theologie Jahrhunderten Homosexuelle ausgrenzt und diskriminiert. Darum möchte ich versuchen, einige der Themen zu nennen, um die es wirklich geht, wenn wir über Liebe und Sex (nicht nur) zwischen Männern und Männern, zwischen Frauen und Frauen reden.

2) Homosexualität und die dahinterliegenden, mitdiskutierten Themen

Ich habe erfahren, die innerkirchliche Diskussion um Wert und Bedeutung von Schwulen und Lesben für die Kirche(n) ist oft eine Stellvertreterdiskussion. Was wirklich auf dem Spiel steht wird nicht genannt, wenn in Kirche und Gesellschaft homosexuelles Verhalten abgelehnt, diskreditiert und verboten wird.

2.1) Das Bibelverständnis und die Bibelauslegung

Wenn wir biblische Texte lesen, sollten wir sie vollumfänglich und in ihrem Kontext lesen, nicht einzelne Verse aus dem Zusamenhang lösen. Seien wir also aus Gründen der Logik und der Vollständigkeit und der Aufrichtigkeit im Umgang mit schwierigen Texten in der Bibel im hetero- und im homosexuellen Bereich gleich konsequent. Das bedeutet aber, dass bei der Diskussion um Homosexualität immer unser gesamtes Bibelverständnis auf dem Spiel steht.

2.2) Die Sexualität und Körperlichkeit

Auf der Hand liegt ganz klar das "Thema" Sexualität und Körperlichkeit für uns ChristInnen. Selbsternannte Kreuzritter der Moral, offen fundamentalistische oder psychologisch verbrämte, versuchen durch die forcierte Diskussion - so mein Eindruck - eine der letzten Bastionen zu halten gegen einen für sie bedrohlichen Wandel in Kirche und Gesellschaft. Immer wieder wird dann das harte Geschütz der Kirchenaustrittsdrohung aufgefahren.

2.3) Das Menschen- und Weltbild

Nicht nur dies

(Fussnote: Es wird auch oft von christlichen Gruppen behauptet - in der Folge einer missbräulichen Auslegung des biblischen Verständnisses des Unterschiedes zwischen vor und nach dem Christwerden - Gott liebe die homosexuellen Menschen, nicht aber ihr Verhalten. Hier werden dann verschiedene sog. "reparative" Ansätze von Therapie oder Heilung - psychologisch oder spirituell - vorgeschlagen. In einer Trennung des Menschen von seiner Identität - und als solche hat Homosexualität zu gelten - wird ein Mensch aber zerbrochen. Homosexualität wird heute von allen ernstzunehmenden Humanwissenschaftlern als konstitutionell angesehen, d.h. genetisch bedingt und im Lauf der Sexualentwicklung ausgeprägt. Reparative Ansätze dagegen wollen Leib und Geist trennen. Es steht wiederum unsere Sicht des Menschen auf dem Spiel: Ist die biblische Ganzheit aus Seele und Leib - auch dies sind schon fast missbräuchliche, weil abendländisch-philosophische Begriffe - trennbar?)

macht deutlich, dass die Ächtung männlicher Homosexualität eng zusammenhängt mit der Herrschaft der Männer über die Frauen. Eigentlich kann an der Diskriminierung Homosexueller nur jemand interessiert sein, der am Machtgefälle zischen Mann und Frau festhalten will. Es wird klar: Es steht bei der Diskussion um Homosexualität immer unser Menschen- und Weltbild auf dem Spiel.

2.4.) Das Verständnis von Ehe und Partnerschaft

Die Diskussion um Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften verhilft: auch zu einer Klärung unseres reformierten Eheverständnisses Wir müssen erkennen, dass biblisch gesehen Ehe keine Schöpfungsordnung ist, und theologisch ihrer Sakramentalisierung zu wehren ist. Die reformatorische Tradition kennt nur zwei, die von Christus selber eingesetzten Sakramente der Taufe und des Abendmahls. Die Hochschätzung der Partnerschaft zweier Menschen, die neues Leben entstehen lässt, kann nicht auf die rein juristische Institution Ehe im Sinne eines göttlichen Gebot oder gar eines Sakraments übertragen werden.

3) Homosexuelle in Geschichte, Gesellschaft und Gegenwart - Einige Schlaglichter

3.1) Schwule, Männer und Gesellschaft

Der Schwule verkörperte lange Zeit das Negativbild des "richtigen" Mannes. Der "warme Bruder" war das Gegenteil des kaltblütigen Typen, der schwule Weichling stand gegen den harten Mann. Die Tunte mit den hohen Stöckelschuhen, weder Mann noch Frau, mit "Huchs" und "Hachs" und hoher Stimme, wurde zum Lieblingswitz der Stammtischhocker in der Quartierbeiz. Seit einigen Jahren aber sehen sich auch die sog. "normalen", also die "heterosexuellen" Männer grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Die alten männlichen Werte sind kalte Rationalität, Leistung um jeden Preis, Unterwerfung der Natur unter den Willen des "Herr"schers und Konkurrenzdenken. Viele Frauen fordern mit Recht eine gleichberechtigte Gesellschaft: Einerseits für sich die hälftige Beteiligung an Berufs- und Erwerbsleben, an allen Entscheidungsfindungen in unserer Gesellschaft und andererseits die Beteiligung der Männer an Haushalt und Kindererziehung. Handkehrum zeigt sich in verschiedenen Lebensbereichen , dass es für Männer wichtig ist, sogenannte "weibliche" Werte zu erwerben: Fürsorglichkeit, Hingabe, Beziehungsfähigkeit, Wärme, Phantasie, Zärtlichkeit um nur einige zu nennen.

Heutzutage sind Schwule in aller Munde, spätestens seit AIDS, der lange Zeit als "Schwulenpest" oder "Strafe Gottes" für die Homosexuellen bezeichneten Immunschwächekrankheit. Schwule zeigten mit ihrer beispiellos schnellen Reaktion auf die Krankheit und mit der Solidarität, die sich auf alle AIDS-Kranken erstreckt, gleich welcher Herkunft, was in einer Minderheit für Kraft stecken kann. Sie beschämten damit die traditionellen Träger des Gesundheits- und Sozialwesens in allen Ländern, die Kirchen und Regierungen, die lange Zeit diese Krankheit ignorierten und weder finanziell noch ideell Unterstützung zur Verfügung stellten.

3.2) Zu "Psychiatrie und Homosexualität"

Medizinisch gesehen wurden Homosexuelle erst im 19. und 20. Jahrhundert zum Thema. Vorher wurden so empfindende Männer generell unter dem Verdikt "Sünde" und "Sodomie" abgetan. Die Entwicklung in der Sicht von Homosexualität bekam zusätzlich zur religiösen eine wissenschaftliche Basis: Zum Begriff "Sünde" kam der Begriff "Krankheit" hinzu.

Seit dieser Zeit beherrscht die Dikussion ein "Entweder - Oder" zwischen "Angeborensein" und "Erworbenhaben".

(Fussnote: Ein Sonderfall des zweiten wurde dann die sog. "Verführungstheorie", die besagen wollte, dass grundsätzlich alle Kinder heterosexuell orientiert seien, aber möglicherweise durch sexuelle Praktiken Erwachsener an ihnen in ihrer Entwicklung zur Homosexualität "deformiert" werden. Die "Geburtstheorie" fand eine Neuauflage in der Geschichte vom "SchwulenGen", dass in den USA isoliert worden sein soll.

Die "Degenerationtheorie" betrachtete alle Normabweichungen von der nur zwecks der Zeugung zu prakti zierenden Missionarstellungs-Sexualität zwischen Mann und Frau als irreversible Fehlentwicklung. Die Betroffenen, z.B. "Sodomiten", "Päderasten", "moralisch Imbecile" oder "moralisch Defecte" wurde lebenslang in den Anstalten versorgt. Eine andere Frucht dieser menschenverachtenden Theorien war die Ermordung von ca. 15'000 homosexuellen Männern und einer unbekannten Zahl von Frauen in den KZ's der Nazis zwischen 1938 und 1945. Sie galten ebenso als "lebensunwertes Leben", wie z.B. Behinderte, die in ausgewählten Kliniken und Spitälern umgebracht worden sind im Rahmen des sog. "Euthanasie"-Programms.)

Sigmund Freud brachte in den dreissiger Jahren einen Fortschritt in die Diskussion mit seiner Grundannahme der allgemeinen Bisexualität jedes Menschen. Homosexualität war für ihn logischerweise eine vorübergehende Erscheinungsform in der psychosexuellen Entwicklung des Kindes. Blieb die homosexuelle Orientierung nach dieser Zeit, bezeichnete er sie als - in der Psychoanalyse behebbaren - Störung, in Gestalt einer übertriebenen Mutterbindung zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr.

Die Psychiatrisierung der Homosexualität hatte zwei Nebeneffekte: Zum einen stellten die Theorien die Strafverfolgungspraxis in Frage und führte schliesslich zur Legalisierung oder Aufhebung entsprechender Gesetze in den meisten Ländern Mitteluropas. Zum anderen ermöglichte die psychiatrische Kategorie des "Homosexuellen" allen so Empfindenden langsam, sich als solche zubegreifen, also eine Identität zu finden, wenn auch vorerst negativ apostrophiert, und war so auch die Wurzel der modernen Schwulenbewegung.

Nicht neue psychiatrische Erkenntnisse, sondern der Kampf eben dieser weltweiten Schwulen- und Lesbenbewegung und der modernen Sexualforschung, haben schliesslich zur Emanzipation eines Teils der Homosexuellen als Schwule geführt. Dies und die daran angepasste juristischen Aussagen fanden wiederum Eingang in die Lehrbücher der Psychiatrie. Eines der angesehensten dieser Gattung, das "Psychiatric Dictionary" der US-Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft, strich vor wenigen Jahren die Homosexualität aus dem Katalog der verzeichneten Krankheiten ersatzlos.

3.3) Die Gegenwärtige juristische Situation und die offenen Forderungen

In der Schweiz gilt seit 1995 ein "Sexualstrafrecht", das einvernehmliche homo- und heterosexuelle Sexualität zwischen Personen ab 16 Jahren erlaubt, und somit unabhängig von der Art der sexuellen Handlung einfach das Alter der Beteiligten zum Massstab nimmt, also die geschützte, auch sexuelle Entwicklung eines Kindes sicherstellen will. In diesem Sinne kann auch von einer Strafverfolgung dann Abstand genommen werden, wenn zwar einer der PartnerInnen unter der Schutzaltersgrenze liegt, der andere aber nur höchstens 3 Jahre älter ist.

Offen sind derzeit ganz klar zwei Forderungen: 1) Die in den Räten hängige Petition zur "Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare" und 2) Die Einfügung der des Diskriminierungsverbots aufgrund der sexuellen Orientierung in die neue Bundesverfassung, deren Totalrevision derzeit im Gang ist. Das Problem, das sich stellt ist, das der zuständige Bundesrat Koller persönlich dafür gesort hat, dass eben dieser Passus aus dem Entwurf der Kommission herausgenommen wurde.

4) Homosexualität in der aktuellen Diskussion einiger reformierten Kirchen der Schweiz

Ich bin überzeugt, dass die christlichen Kirchen bei Schwulen und Leben Vieles wiedergut zu machen haben, da sie für deren öffentliche Diskriminierung und Schädigung an Leib und Leben mitschuldig sind

(Fussnote: Die Brandenburgische Kirche hat dies als erste 1990 getan, mit einem Papier, in dem sie bewusst auch sprachlich die Nähe zum Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirchen suchte, und ihre Mitschuld an der Vernichtung des Lebens von zehntausenden homosexuellen Männern (und ungezählten Frauen) während des Nationalsozialismus durch ihr Schweigen bekannte, und zu einem kirchlichen und theologischen Handeln aufrief, dass solche Strukturen von Unterdrückung in Zukunft verunmögliche.)

Ich behaupte, das Kirche und Theologie ausgrenzendes Denken übernommen haben. Das lässt sich z.B. in der "Kriminalgeschichte" der Kirche festmachen: "Ketzer" waren immer nicht nur die, die anders dachten, sondern auch immer die, die anders lebten und liebten. Es muss uns z.B. auch etwas sagen, dass Theologie und Kirche, Christinnen und Christen, keinen oder nur wenig Widerstand geleistet haben, angesicht der staatlich organisierten, tödlichen Ausgrenzungspolitik während des Faschismus (gegen Jüdische Menschen und homosexuelle Männer und Frauen). Theologie und Kirche haben sogar z.T. den Ueberbau und die Grundstrukturen dafür geliefert. Darum also: Lasst uns Theologien versuchen, die ohne das "Urgestein der Ausgrenzung" (Henning Luther) auskommen, auf dem unsere Kirchen schon ewig ihre machtvollen Dome gebaut haben.

So möchte ich zum Schluss nur auf einige Stellungnahmen der reformierten Oekumene hinweisen. In letzter Zeit haben sich u.a. die Reformierten Kirchen der Kantone Bern und Jura, Basel-Stadt, Graubünden und besonders auch die des Kantons St.Gallens klar geäussert. Eine Stellungnahme seitens des Kirchenbundes soll in Auftrag gegeben worden sein.

4.1) Stellungnahme des Kirchenrats der ERK Basel-Stadt, 1994, im Hinblick auf die "Lesbische und schwule Basiskirche"

"Ethische Forderungen eines gegenüber Gott und den Nächsten verantwortlichen Umgangs mit der Sexualität richten sich Menschen mit homosexuellen und heterosexuellen Empfindungen gleichermassen. Wir achten homosexuelle Frauen und Männer als Mitglieder unserer Kirche, auch wenn bis heute in unserer Gesellschaft und auch innerhalb unserer Kirche unterschiedliche Auffassungen über Homosexualität bestehen. Abwertende Urteile haben keinen Platz."

4.2) Stellungnahme der ERK St.Gallen, 1996, zum Thema "Fürbitte- und Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare"

Es verstehe sich - nach längeren und sehr lesenwerten Ueberlegungen - "von selbst", dass die ERK St.Gallen dafür eintrete. "Ein Fürbitte- und Segnungsgottesdienst für homosexuelle Paare wird sich liturgisch wenig von einer traditionellen kirchlichen Trauung unterscheiden, welche ein Kasualgottesdienst ist ohne rechtlichen und im unterschied zum römisch-katholischen Verständnis ohne sakramentalen Anspruch."
Am Schluss des Papiers finden wir dann auch noch Folgendes: "Weil die christlichen Kirchen in der Vergangenheit aber eine schwere Schuld gegenüber homosexuell orientierten Menschen auf sich geladen haben, sollten sie diese auch darin unterstützen, wenn sie im Zivilgesetzbuch explizit aufgenommen werden wollen. Die rechtliche Besserstellung homosexueller Paare (ist) auch aus einer christlichen Perspektive nicht nur vertretbar, sondern sogar wünschbar."

4.3) Ergebnispapier der Synode der ERK Baselland, 1996

"Es wäre sicher verfehlt zu glauben, dass die Homophilie allgemein akzeptiert wird, haben doch die Vertreter mit einer eher fundamentalistischen Einstellung an der Aussprachesynode kaum teilgenommen. Es ist aber ebenso klar, dass Information und Diskussion weitergeführt werden müssen. Empfehlungen an den Kirchenrat: 1) Segen für homosexuelle Paare, der sich in der Form jedoch deutlich von einer Trauung von heterosexuellen Paaren unterscheiden muss. 2) Weiterführung von Aufklärung und Diskussion zum Abbau von Vorurteilen und zur vermehrten Akzeptanz von Homophilen."

Anhang

Referat von Dr.med. Tedy Hubschmid, Chefarzt, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (nach einem Vortrag im Berner Arbeitskreis Psychiatrie-Theologie; erschienen in: Schweizerische Ärztezeitung Nr. 28 vom 10.7.96, Seiten 1184 - 5)

Eine belastete Geschichte

Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung werden immer noch in schwerwiegender Weise diskriminiert. Über lange Zeit hat die Psychiatrie wesentlich zu dieser Diskriminierung beigetragen, unter anderem indem sie Homosexuelle mit psychiatrischen Diagnosen belegte. Homosexualität wurde in psychiatrischen Lehrbüchern als Perversion bezeichnet, und es galt als erwiesen, dass Homosexualität Folge einer Störung in der psychosexuellen Entwicklung sei, also einer Unreife, einem Defekt entspreche. Homosexuelle galten als narzisstisch auf sich selbst fixiert und darum als unfähig für eine partnerorientierte Liebesbeziehung. Wegen der angeblichen Unreife wurden diese Menschen unter anderem von gewissen psychotherapeutischen Ausbildungen ausgeschlossen. Das Thema ist tabuisiert, in der Gesellschaft bestehen vor allem gegenüber männlicher Homosexualität starke negative Vorurteile. Während früher die Kirche dieser negativen Haltung die Begründung lieferte, in dem sie gleichgeschlechtliche Liebe als widernatürlich oder als von Gott in der Bibel verboten bezeichnete, war es später die Psychiatrie, welche der Gesellschaft die Argumente für die praktizierte Diskriminierung

Vergangenheitsbewältigung in der Kirche

In kirchlichen Kreisen wird heute eine intensive Diskussion über das Thema geführt; Pfarrer bekennen sich zu ihrer Homosexualität, ein homosexuelles Paar wird in der Kirche gesegnet, das Unrecht und das Leid, das die Kirche homosexuellen Menschen mit der religiös begründeten Verdammung angetan hat, wird thematisiert. Im Gegensatz dazu tragen Medizin und Psychiatrie kaum etwas zur Diskussion bei; man könnte auch sagen, sie treten geradezu auffällig leise. Dabei wäre zum Thema Homosexualität über einen mächtigen Wandel der psychiatrischen Lehrmeinungen zu berichten, über eine Änderung gleichsam um hundertachtzig Grad.

Der Stand des Wissens

Hier eine kurze Zusammenfassung des heutigen Wissenstandes:

- Homosexualität ist aus den psychiatrischen Diagnosesystemen verschwunden, sie wird nicht mehr als Krankheit betrachtet

- Etwa 4% der männlichen und 2% der weiblichen Bevölkerung erleben ausschliesslich homosexuell, und zwischen ihnen und den eindeutig Heterosexuellen sucht eine breite Schicht von Menschen in bisexuellen Beziehungen eine Identität

- Die psychosexuelle Identität, ob ein Mensch sich als Mann oder als Frau fühlt, ist etwa im dritten Altersjahr fixiert; die sexuelle Orientierung, ob ein Mensch sich von Männern oder Frauen sexuell angezogen fühlt, steht ungefähr mit der Pubertät fest

- Auch homosexuelle Menschen haben stabile Liebesbeziehungen,

- Sorgfältige Untersuchungen haben ergeben, dass sich unter homosexuellen Menschen nicht mehr psychopathologische Auffälligkeiten finden als unter heterosexuellen,

- Es gibt keine Möglichkeit, die sexuelle Orientierung durch spätere Erfahrungen dauerhaft zu verändern; Homosexualität ist also nicht therapierbar,

- Die Hypothese, Homosexualität könne durch Verführung induziert werden, gilt als widerlegt,

- Als pervers wird heute eine Form von Sexualität bezeichnet, die aus der Erniedrigung des Partners ihre Befriedigung bezieht, oder die ausschliesslich auf die eigene Befriedigung ausgerichtet ist. Es ist damit klar, dass Homosexualität nicht als Perversion bezeichnet werden darf.

Theorien über eine angebliche familiendynamische Verursachung von Homosexualität gehen aus von einer dominanten Mutter, von der die Ablösung nicht gelingt, und einem schwachen Vater, der zur Mutter keine wirksame Alternative bietet, der die Ablösung des Kindes von der Mutter also nicht erleichtert. Diese Überlegungen ähneln ganz auffällig den Theorien zur Entstehung der Schizophrenie, die vor vierzig Jahren aufkamen, die sich als unhaltbar und schädlich erwiesen und von denen man gehofft hatte, sie seien endgültig beerdigt. Sie sind zwar empirisch nicht haltbar, wohl aber geeignet, allen Eltern von homosexuellen Menschen Schuldgefühle zu verursachen.

Viele der alten Lehrmeinungen haben sich also als unwissenschaftlich erwiesen. Gewisse Autoren hatten ihre Erfahrungen mit wenigen psychisch kranken Homosexuellen unbesehen übertragen auf die Gesamtheit auch der psychisch gesunden Homosexuellen. Psychiater und Psychologen hatten sich unter dem Druck der Gesellschaft und unter dem Einfluss ihrer eigenen Vorurteile zu Aussagen verleiten lassen, die sich unterdessen als völlig unhaltbar herausgestellt haben.

Umdenken tut not

Das Umdenken in diesem Bereich ist wichtig, denn Homosexuelle wachsen bis heute unter sehr schwierigen, psychisch traumatisierenden Bedingungen auf: In einem wesentlichen Aspekt ihrer Identität sind sie anders als die übrigen jungen Menschen, und je nach ihrem familiären und gesellschaftlichen Umfeld wer den sie als abnorm, verkehrt, sündig oder gar als pervers verurteilt. Sexualität ist ein mächtiger Antrieb, ein Motor, der es dem Menschen ermöglicht, sich einem andern in einer intimen Weise zu öffnen, was eine intensive Nähe und Auseinandersetzung und damit wichtige Reifungsschritte einleitet. Auch homosexuell veranlagte Menschen haben das Recht, diese Schritte zu tun, obwohl er für sie wegen ihrer Minderheitssituation schwieriger sein mag. Schliesslich ist es für jede Psychotherapie wichtig, dass der Patient in seiner individuellen Wesensart vom Therapeuten akzeptiert wird. Man kann nicht jemanden behandeln, wenn man einen wichtigen Aspekt seiner Identität als falsch, verkehrt, pervers und als das zu Behandelnde betrachtet. Dies gilt es eindeutig festzuhalten, gerade angesichts der heute von gewissen religiösen Gruppen propagierten "Behandlungsmethoden".

Neue Fragestellungen

Neben der Erkenntnis, dass am Thema Homosexualität Vergangenheitsbewältigung überfällig wäre, ergeben sich aus der beschriebenen Diskriminierung einige interessante Fragen:

Warum stellt Homosexualität ein so starkes Tabu dar? Warum und für wen ist die Verdrängung so wichtig?

Was bedeuten die sich am Thema Homosexualität so deutlich zeigenden Unterschiede zwischen Mann und Frau?

Warum wirkt männliche Homosexualität so viel provozierender als weibliche?

Warum fühlen Frauen sich von Lesben und Schwulen weniger bedroht als Männer?

Warum haben fast nur Männer, und zwar homosexuelle wie heterosexuelle, und nicht auch Frauen eine Sexsubkultur mit Strich, Bars, Saunas usw.?

13. September 1997



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last update: 04.07.2016