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Predigt zum 12. August 2012, gehalten in der St. Anna-Kirche,
durch Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche Zürich



Von der tätigen Liebe – Zum 13. August,
evangelischer Gedenktag von Florence Nightingale



Predigttext:

"Ihr Lieben, lasst uns einander lieben!
Denn die Liebe ist aus Gott;
und jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt,
und er erkennt Gott.
Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt,
denn Gott ist Liebe.
Darin ist die Liebe Gottes unter uns erschienen,
dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat,
damit wir durch ihn leben.
Darin besteht die Liebe:
Nicht dass wir Gott geliebt hätten,
sondern dass er uns geliebt
und seinen Sohn gesandt hat
als Sühne für unsere Sünden."
1. Johannesbrief 4,7-10


Liebe Gemeinde

"Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war", schrieb der französische Literatur-Nobelpreisträger François Mauriac (1885-1970) in seinem Werk "Der lebendige Gott", und er fuhr fort: "Er hat uns das selbst gesagt. Den lebendigen Gott, den er uns als den Vater, als unseren Vater offenbart hat, kennen wir noch unter einem anderen Namen, der sein eigentliches Wesen ausdrückt, der überall zwischen den Zeilen des Evangeliums und hinter allem steht, was der Sohn vom Vater sagt. Der heilige Johannes hat uns im achten und sechzehnten Verse seines ersten Briefes diesen Namen genannt: 'Gott ist die Liebe.' Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt. Der lebendige Gott ist die lebendige Liebe."

Mauriac ist nicht der einzige Träger des Literatur-Nobelpreises, der in seinem Werk Bezug auf unseren Predigttext genommen hatte. Von einer anderen Warte aus tat dies auch Elias Canetti (1905-1994) in seinen Aufzeichnungen 1942-1972 mit dem Titel "Die Provinz des Menschen". Da sinnierte er: "Es ist merkwürdig und beunruhigend, wie nach Verlauf von zweitausend Jahren die ethische Grundfrage dieselbe geblieben ist, nur ist sie dringlicher geworden, und wer heute sagt: Liebet einander, weiss, dass nicht mehr viel Zeit dazu übrig ist."

Ja, die Grundfragen des menschlichen Lebens und die Antworten des Evangeliums, der Guten Nachricht von Jesus Christus sind dieselben geblieben. Aber sie stellen sich in der heutigen Zeit noch viel stärker. Die Endzeitzeichen haben zugenommen.

Ein Blick zurück ruft das bekannte Lied zum Predigttext in Erinnerung: "Gott ist die Liebe".

"Er lässt mich erlösen,
Er liebt auch mich.

Ich lag in Banden der bösen Sünde,
ich lag in Banden und konnt ' nicht los.

Ich lag im Tode, des Teufels Schrecken,
ich lag im Tode, der Sünde Sold.

Er sandte Jesus, den treuen Heiland,
Er sandte Jesus und macht mich los.

Jesus, mein Heiland, gab sich zum Opfer,
Jesus, mein Heiland, büsst' meine Schuld.

Du heilst, o Liebe, all meinen Jammer,
Du stillst, o Liebe, mein tiefstes Weh.

Du füllst mit Freuden die matte Seele,
Du füllst mit Frieden mein armes Herz.

Du lässt mich erben die ew'ge Freude,
Du lässt mich erben die ewg'e Ruh.

Dich will ich preisen, Du ew'ge Liebe,
Dich will ich loben, solang ich bin."

Viele von uns kennen das Lied seit der Sonntagsschule. Es hat sich eingeprägt in den Herzen, und es zeigt: Die Liebe Gottes ist zentral. Sie erreicht auch die Vergebung, sie gibt Kraft, Trost und Frieden.

Ich darf einen Text anfügen von der Besucherin Cornelia der Sihlcity-Kirche, den sie im Dezember 1999 (mit Anklängen an 1. Korintherbrief 13, dem Hohen Lied der Liebe vom Apostel Paulus) geschrieben hat:

"Die Liebe, die allumfassende Liebe, kennt keine Angst, kein Leid und keine Selbstsucht.
Die Liebe ist nicht nur ein Gefühl, sie ist viel mehr. Sie ist real.
Liebe, die wahr ist, kennt keine Lügen, muss nicht täuschen, prahlt nicht. Sie ist viel mehr!
Sie ist da real, wo Wärme und Demut ist.
Sie ist da, wo Licht ist.
Sie ist da, wo ich sagen kann: Ich bin angekommen."

Morgen ist ein Evangelischer Gedenktag. Er gilt Florence Nightingale (1820-1910).
Von ihr erklärte Henri Dunant 1872: "Obwohl ich als der Gründer und Schöpfer der Genfer Konvention bekannt bin, kommt doch alle Ehre der Schaffung der Konvention einer Engländerin zu. Was mich während des Krieges von 1859 dazu brachte, nach Italien zu gehen, war das Werk der Florence Nightingale auf der Krim."
Sie war eine junge englische Christin aus reichem und gebildetem Haus, als sie sich in ihrem Gewissen gedrängt fühlte, den Kranken und Leidenden zu helfen. Es schwebte ihr die Gründung eines protestantischen Schwesternordens vor.
1853 wurde Nightingale – was im Deutschen übrigens "Nachtigall" bedeutet – Oberin des Harley Street Hospitals. Im drauffolgenden Jahr erlebte sie während des Krim-Krieges die unvorstellbaren Leiden der Verwundeten, für deren Betreuung keine ausreichende Vorsorge getroffen worden war.
Nun eilte sie nachts durch die Krankensäle, mit der Laterne in der Hand, um den Verletzten zu helfen und bei den Sterbenden auszuharren.
Florence Nightingale wurde als Organisatorin der englischen Kriegskrankenpflege zur Nationalheldin. 1860 gründete sie eine Schwesternschule im St. Thomas Spital in London, und 1907 erhielt sie als erste Frau den britischen Verdienstorden.
Ihr Wirken hat Henri Dunant (1828-1910) so beeindruckt, dass er sie zum Vorbild bei der Gründung des Roten Kreuzes und bei der Arbeit am Entstehen der Genfer Konvention nehmen konnte.

So nimmt die Liebe Gottes, aus der wir immer wieder schöpfen können, Gestalt an – wie sie bei seiner Menschwerdung in Jesus Christus Fleisch geworden ist.
Das ist eine unermessliche Kraftquelle, aus der wir immer wieder schöpfen dürfen und sollen – zur Bewältigung unseres Lebens in dieser komplizierten und vom Bösen durchsetzten Welt, zur Freude, aber auch zum Lobpreis Gottes!

So schreiten wir achtsam durchs Leben, wie es Berthold Brecht (1898-1956) mal geschrieben hat:

"Der, den ich liebe,
hat mir gesagt, dass er mich braucht.
Darum gebe ich auf mich acht,
sehe auf meinen Weg
und fürchte von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen könnte."


last update: 04.08.2012