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WER MIT DEM HERZEN SIEHT - Ratgeber für das Leben zu zweit

Die Ehe - nun an erster Stelle

Einen Hinweis auf die Bedeutung der Ehe ergibt ihr äußeres, sichtbares Zeichen: der Ring. Die meisten Eheleute tragen ihn nach wie vor, was eigentlich erstaunlich ist. Unbeschadet hat der Ehering bisher alle Modeströmungen und Diskussionen über Wertvorstellungen überstanden. Er ist kaum zum Gegenstand der Kritik geworden in einer Zeit, die ansonsten so stark im Wandel begriffen ist. Die Kehrseite der Medaille: Viele tragen ihn einfach, ohne sich je Gedanken über seinen Sinn gemacht zu haben. Handelt es sich hier um ein kurioses Relikt aus alter Zeit, oder hat der Ehering auch heute noch seine Berechtigung? 
Im katholischen Traugottesdienst stecken sich die Traupaare während der Zeremonie gegenseitig die Ringe an den Finger. Dies ist eine symbolische und tiefgründige Handlung, die sich schon Kindern fest ins Bewußtsein eingräbt, so fest, daß es sich auch viele evangelisch-reformierte Paare wünschen. Wenn dies der Fall ist, besteht während der Feier die Gelegenheit, das Zeichen zu erklären und somit den Sinn der Ehe zu verdeutlichen. 
Der Ring ist ja ein in sich geschlossener Kreis, von alters her ein Symbol des Vollkommenen, Absoluten, Göttlichen. "Ihr sollt vollkommen sein, weil euer Vater im Himmel vollkommen ist." (Matthäus 5,48) So hat es Jesus gesagt. Freilich wissen wir, daß wir alles andere als vollkommen sind. Dennoch wird uns gelegentlich Vollkommenheit geschenkt, so wie ein Sonnenstrahl durch die Wolken bricht. Der Ehering ist deshalb auch weniger ein Zeichen unserer selbst, sondern ein Zeichen Gottes, des dritten im Bunde, mit dessen Hilfe der Ehe Vollkommenheit geschenkt werden kann. Diese gilt es anzustreben, denn dort liegt das Ziel, und aus dieser Vollkommenheit beziehen wir die Kraft für unser Leben. 
Eheringe bestehen aus dem kostbaren Material Gold, sie sind also ein kleiner Schatz. "Euer Herz wird immer dort sein, wo ihr euren Reichtum habt." (Matthäus 6, 21) So drückte es Jesus in der Bergpredigt aus. Wenn nun der Ring als Zeichen der Ehe einen Schatz darstellt, so weist er darauf hin, wo unser Herz ist! Es schlägt für die Liebe, die aus Gott kommt. Der wahre Schatz liegt da verborgen, und es tut wohl, wenn auch unser Puls in dieser Nähe schlägt. Im Mittelalter hat man die Arterie des vierten Fingers der linken Hand daher "vena amoris", Liebesader, genannt, da sie direkt zum Herzen führt ... 
Im Ring des Mannes ist der Name der Frau eingraviert und umgekehrt. Die beiden werden stets an den Bund erinnert, den sie geschlossen haben, an die Verheißung, die in ihm steckt, an seine Möglichkeiten und Grenzen. Außenstehende hält dieses Zeichen dazu an, den Bund zu respektieren und zu achten, sich ihm in Ehrfurcht zu nähern. Denn Ehe ist nicht nur eine Privatsache, sondern geht alle etwas an. Darum wird sie öffentlich ausgeschrieben und vor der Gemeinde geschlossen. Der Ehering kann also durchaus seinen Sinn für diejenigen haben, die ihn tragen, aber er kann auch jenen etwas mitteilen, die ihn erkennen. Sonst wäre er nur ein Schmuckstück, wie andere Ringe auch. 

Auf den ersten Seiten der Bibel findet sich ein bemerkenswerter Satz: "Deshalb verläßt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele." (1. Mose 2,24) Der Mann verläßt also Vater und Mutter, um zu seiner Frau zu ziehen. Natürlich gilt das in unserem Kulturkreis umgekehrt auch für die Frau. Daß Vater und Mutter bei der Heirat verlassen werden, ist für das Alte Testament als eine ganz starke Aussage zu werten, denn die Eltern sollen ja (den zehn Geboten gemäß) geehrt werden: "Ehre Vater und Mutter! So hat der Herr, dein Gott, es dir befohlen; und wenn du das tust, wirst du lange leben, und es wird dir gut gehen in dem Land, das dir der Herr, dein Gott, gibt." (5. Mose 5,16) Meistens wird nur der erste Satz des Gebotes bedacht und vergessen, daß darin auch eine Verheißung liegt: langes Leben und Wohlergehen! "Ehre Vater und Mutter!" Das könnte man auch folgendermaßen übersetzen: "Miß Vater und Mutter Bedeutung bei!" Es ist verheißungsvoll, die Rolle der Eltern nicht zu unterschätzen, sie stets neu zu überdenken und sich immer wieder auf die Eltern einzustellen. Denn sie sind es, die den Grundstein für unser Leben gelegt haben. 
Dieses Gebot wird beim Verlassen der Eltern nicht außer Kraft gesetzt. Es bleibt bestehen, aber seine Bedeutung erfahrt einen tiefgreifenden Wandel. Bisher standen die Eltern im Vordergrund der familiären Beziehungen, und nun kommt die Ehe an erster Stelle, weil sie den Grundstock zu einer neuen Familie in sich birgt. Die Eltern erfahren diese Wandlung oft sehr tief. Obschon sie sich am Hochzeitstag ihrer Kinder freuen, schmerzt es sie, wenn Kinder das Elternhaus verlassen und heiraten. Die erwachsenen Kinder spüren das weniger, weil sie sich auf die Eigenständigkeit und die Zukunft freuen. Sie blicken vorwärts, während sich bei den Eltern ein wichtiger Teil des Lebens abrundet. 

Eigentlich spitzt sich bei den Eltern ein Vorgang zu, der sich in der Erziehung und Begleitung der Kinder schon immer in geringerem Maße ereignet hat: ein Gehenlassen und Wiederempfangen. Schon das Baby schmiegt man an sich und legt es danach wieder ins Bettchen. Und wenn man dem Kleinen das Gehen beibringt, hält man es mit der Hand, läßt es ein wenig los und fangt es wieder auf. Ebenso ist es für die Eltern ein Erlebnis, wenn das Kind zum ersten Mal auf die Straße gehen darf, wenn es in den Kindergarten und in die Schule kommt, konfirmiert wird, eine Lehre beginnt - und dann eben der große Einschnitt, wenn es das Elternhaus verläßt. Je besser dieses Laufenlassen und Willkommenheißen geübt wird, desto leichter fallt den Eltern der Auszug ihrer Kinder und desto lieber kommen die Kinder stets auch wieder zurück! Ganz ohne Schmerzen geht es freilich nicht ab, aber offenherzige Eltern erhalten ihre Kinder doppelt und dreifach zurück, wenn diese den Partner und später die Enkelkinder nach Hause bringen. 
Wichtig aber ist, daß man die Kinder einmal ganz freigibt. Diese Freiheit brauchen sie dringend, um zu sich selbst und den eigenen Lebensstil zu finden. Wird dieser Loslösungsprozeß erschwert und die junge Ehe belastet, bringt es letztendlich allen nichts Gutes. Darum sagt es die Bibel mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig läßt: Die Eltern werden bei der Heirat von den Kindern verlassen. Es entsteht ein Freiraum, damit die Jungen ihr eigenes Leben aufbauen können. Für die Eltern bedeutet das auch eine Neuorientierung ihres Lebens, das jetzt wieder auf andere Weise gefüllt sein möchte. 

Wenn Vater und Mutter verlassen werden, heißt dies, daß die Ehe nun an erster Stelle steht. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf das Verhältnis zu den Eltern, sondern erst recht auf alles Weitere! Gerade die junge Ehe ist auf eine spezielle Pflege angewiesen. Wie ein zartes Pflänzchen will sie wachsen und gedeihen, sie braucht die volle Zuwendung beider Partner und darf sich nicht stören lassen. Sie nimmt für sich Priorität in Anspruch. Da ist keine Freundschaft wichtiger, da darf ihr kein Hobby den Rang ablaufen, und auch der Beruf kommt nicht an erster Stelle! Wenn ich das jeweils in Traugottesdiensten so sage, dann beobachte ich immer, wie Frauen verstohlen ihre Männer anstoßen! Anscheinend handelt es sich da um ein heißes Eisen, das in vielen Ehen ein Problem ist. Gerade darum möchte ich es um so deutlicher sagen: Zuerst hat die Ehe ein Anrecht auf Hingabe und Zeit. Denn sie eignet sich schlecht für Feuerwehr- und Pflichtübungen. Sie will täglich geübt sein. 
Wo dies ernst genommen wird, werden wir die schöne Erfahrung machen dürfen, daß alles andere auch leichter fällt und davon befruchtet wird. Das ganze übrige Leben gestaltet sich besser. Freundschaften, Hobby, Beruf und sonstige Tätigkeiten können von einem glücklichen Eheleben profitieren. 
Mag einer denken, das sei leicht gesagt; er gehe in der vielen Arbeit fast unter und habe einfach keine Zeit. Hand aufs Herz: Ist das wirklich so, weil es sein muß? Oder flieht man da vor etwas, vielleicht vor sich selber? Manchmal braucht man den Mut zu einer gründlichen Flurbereinigung, den Mut zur Entscheidung, der Ehe den ersten Platz einzuräumen. Niemand wird es bereuen!