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Predigt zum Sonntag, 4. Advent, 22. Dezember 2013 um 18 Uhr in der Wasserkirche Zürich,
gehalten von Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche


"Der Schatz der Armen"

Predigttext: Lukas 2,6-7
"Es geschah, während Josef und Maria, seine Verlobte, in Betlehem waren, dass die Zeit kam, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie."

Liebe Gemeinde

"Sie legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie." Der Satz aus der biblischen Weihnachtsgeschichte kommt an. Er sollte nicht vergessen werden, sondern nachwirken, auch in unser Leben hinein.

Dazu eine spezielle kurze Erzählung: "Es war einmal vor langer Zeit ein Kind geboren in einem Stall. Die Eltern hörten, dass gar viel Volk auf dem Weg zu Ihnen war und sogar drei Weise aus dem Morgenland ihre Aufwartung angekündigt hatten. Sie kamen deshalb überein, dass eine derartige Herberge wohl kaum ein geeigneter Rahmen wäre und beschlossen, sich nach etwas Repräsentativerem umzuschauen. Bethlehem hätte da auch zu wenig zu bieten und es wäre am Besten, man ziehe in einen der Paläste der Nachbarstädte. Gesagt, getan. Es war ein strahlender Rahmen für die Präsentation; nur das Kind weinte aus unerfindlichen Gründen und Ochs und Esel waren nicht mehr dabei. Die drei Weisen kamen übrigens erst gar nicht; sie reisten zu einem leeren Stall, denn der Stern stand unverändert über der Krippe…"
Es fällt auf, dass einige Dinge zusammenpassen müssen, sonst bleiben die Frohbotschaft und der Segen aus. Im weinenden Kind zeichnet sich schon der Gekreuzigte ab. Der Stern ist gar nicht erst mitgekommen. Er zeigt den Weisen den Weg. Daher fehlen auch sie.

Die Erzählung erscheint symptomatisch für den einzelnen Menschen, für eine Gesellschaft und zuweilen auch eine Kirche, die vom Weg abgekommen und nicht mehr authentisch sind. Wie schnell ist das passiert!
Da überlegt man sich, wie man die Kirche wieder attraktiv für Besucher machen kann, statt darüber nachzudenken – und es vor allem auch zu tun – was die Kirche vom Evangelium her den Menschen geben und sein kann. Die dienende Kirche zählt, diejenige, in der die sozial Schwächeren, die Kinder und die Jugendlichen keine Lobby brauchen. Der heutige Mensch braucht Nahrung für Körper, Geist und Seele. Er möchte sich in einer sinnvollen, gefreuten Gemeinschaft bewegen und sich auf dem rechten Weg befinden. Er möchte – und das ist heutzutage sicher pointiert der Fall – verstanden werden, sich selber verstehen und dann auch Verständnis für andere aufbringen können. Für eine Kirche, die sich für ihn engagiert hat, ist auch er bereit sich zu engagieren, das seine oder das ihre beizutragen. So sehen und erleben wir die Kirche.

Es geht um Authentizität, darum dass gewisse fundamentale Dinge zusammenpassen. Wenn wir fröhliche Christen sein wollen, dann messen wir unser Leben immer wieder am weihnächtlichen Satz aus dem Lukas-Evangelium: "Sie legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie." Jene Krippe ist für die Nahrung vorgesehen, und es liegt auch Nahrung darin. Der Platz ist der Ort, den das Universum und sein unendlich grosser Architekt den Menschen zugewiesen hat mit dem Stern. Es ist ein Stall, in dem auch Tiere leben. Um das Leben geht es. Um eine gewisse Leere, die gefüllt sein will mit Sinn und Geist.
Rabindranath Tagore gab einst zu bedenken: „Die Armut bringt uns in die engste Berührung mit dem Leben und der Welt; denn als Reicher leben heisst durch Stellvertreter leben.“ Das hallt nach: "Als Reicher leben heisst durch Stellvertreter leben." Wie viele solcher haben wir doch alle dann und wann. Es geht um den direkten Kontakt mit dem Leben. Wir möchten berührt sein und berühren. Die Touchscreens (d.h. die Berührungsbildschirme) reichen nicht, sie greifen nicht in die Tiefe, mit ihnen bleiben wir an der Oberfläche. Der moderne Mensch schreit nach Berührung, nach guter Behandlung (in dem Wort steckt Hand drin).

Letzthin wieder einmal entdeckt, ein Buch aus dem Jahr 1892, mit dem Titel "Der Schatz der Armen" (von Maurice Maeterlinck). Wer denkt heute schon an die Armen? Und vor allem: Wer denkt an die Armen, wenn nicht die Kirche? Ich möchte einer Kirche angehören, die sich am Zentrum des Glaubens, an Jesus Christus, orientiert und die Gott und damit auch dem Menschen dient, denn Gott ist uns im Menschen Jesus Christus erschienen. – Auf einer Passage des Buches "Der Schatz der Armen" bleibt das Auge liegen und das Herz will es wissen. Da steht geschrieben (S. 99):
"So wenig ist nötig, um die Schönheit in einer Seele zu ermutigen, so wenig, um die eingeschlafenen Engel aufzuwecken. Man braucht vielleicht nicht einmal aufzuwecken, es genügt einfach, nicht einzuschläfern. Vielleicht ist es nicht das Aufsteigen, sondern das Absteigen, was Kräfte erfordert. Bedarf es nicht einer Anstrengung, um angesichts des Meeres oder der Nacht an mittelmässige Dinge zu denken? Und welche Seele weiss sich nicht Tag für Tag am Meere oder in Gegenwart einer ewigen Nacht?"

"So wenig ist nötig", das bleibt hängen, und es wollen sich die Sätze aufdrängen, die einst Alphons Maria di Liguori schrieb: "Wer weiss? Wenn Gott uns grösseres Talent, bessere Gesundheit und mehr persönliche Ausstrahlung gegeben hätte, dann hätten wir vielleicht unsere Seelen verloren! Grosses Talent und Wissen haben viele aufgeplustert mit der Überzeugung ihrer eigenen Wichtigkeit; und in ihrer Überheblichkeit haben sie andere verachtet. Wie leicht geraten Menschen mit solchen Begabungen in die ernsthafte Gefahr ihres Seelenheils! Wie viele Leute von leiblicher Schönheit und mit robuster Gesundheit haben sich kopfüber in ein ausschweifendes Leben gestürzt! Wie viele gibt es andrerseits, die durch ihre Armut, Gebrechlichkeit oder körperliche Missbildung ihre Seelen gerettet haben und die - wenn ihnen Gesundheit, Vermögen oder körperliche Attraktivität zu eigen gewesen wären – ihre Seelen verloren hätten. Lasst uns also zufrieden sein mit dem, was Gott uns gegeben hat. Nur eines ist nötig, und das ist nicht Schönheit, nicht Gesundheit, nicht Talent. Das ist die Rettung der Unsterblichkeit unserer Seelen."

Die Weihnachtsgeschichte – gerade jene des Arztes Lukas – gibt wichtige Hinweise, wo der Platz des Lebens ist. Es ist enorm wichtig, sie für unsere Leben immer wieder zu bedenken, damit wir uns nicht plötzlich in einem Schauspiel mit Fehlbesetzungen wiederfinden.
Das gilt für uns als einzelne Christen, aber es gilt auch für die Kirche als ganze. Mit langer Computerarbeit, intelligenten Sitzungen, grossen Plänen und hochgesteckten Zielen – und auch mit Prachtsbauten – ist noch gar nichts erreicht. An erster Stelle haben der Kontakt mit dem Menschen und der Gedanke der Dienstleistung für ihn – im Namen Jesu Christi – zu stehen.

Eine Sufi-Weisheit sagt: "Der falsche Schüler hat seine Augen gen Himmel gerichtet, weil er mit seinen Füssen im Sumpf steckt." Eine weitere Sufi-Weisheit geht so: "Die Katze vermag, was der Tiger nicht kann."

Zum Schluss eine scherzhaft vorgetragene, tiefe östliche Weisheit, die zeigt, dass es um den Menschen und um das Leben geht:
Kommt einer zum Gelehrten und sagt: "Mulla, dein Esel ist verschwunden!"
Erwidert der Mulla: "Gott sei Dank, habe ich nicht auf ihm gesessen – sonst wäre ich auch weg!"

Amen.



Orgel-Eingangsspiel

Grusswort
"Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
unter den Menschen seines Wohlgefallens." (Lukas 2,14)

Lied 370,1-3 ("Tochter Zion")

Gebet

Lesung: Matthäus 5,1-3
"Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie: Selig die Armen im Geist – ihnen gehört das Himmelreich."

Lied 409,1-3 ("O du fröhliche")

Predigttext: Lukas 2,6-7
"Es geschah, während Josef und Maria, seine Verlobte, in Betlehem waren, dass die Zeit kam, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie."

Kurzes Orgelspiel

PREDIGT: "Der Schatz der Armen"

Orgelspiel

ABENDMAHL
Eingang, Gebet, Friedensgruss, Lied 314 ("Christe, du Lamm Gottes"), Einsetzung, Austeilung, Gebet

Mitteilungen

Lied 412,1-3 ("Stille Nacht, heilige Nacht")

Segen
"Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit Euch allen!" – (2. Korintherbrief 13,13)
Amen.

Orgel-Schlussspiel



last update: 13.12.2013