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Predigt zum 4. Advent, den 21. Dezember 2008, gehalten in der St. Anna-Kapelle Zürich
durch Jakob Vetsch, Pfr., Sihlcity-Kirche

Engel und Wir


"Und ein Engel des Herrn trat zu ihnen, und der Glanz des Herrn umleuchtete sie,
und sie fürchteten sich sehr. Da sagte der Engel zu ihnen: Fürchtet euch nicht!
Denn seht, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird."
Lukas 2,9-10


"City of Angels" lautet das Motto im Einkaufszentrum Sihlcity, in dem ich arbeite. Unsere dortige Kirche hat das Stichwort aufgenommen mit dem Leitspruch: "Ich gebe dir einen Engel mit." Auch die heutige Predigt hören wir zu diesem Thema.

Engel_aus_Glas.jpg

Foto: Stana Vetsch, 15. Dezember 2008

Wir feiern den 4. Advent, das Kerzenlicht auf dem Kranz ist voll, die Zeit der Erwartung erfüllt, und bald erscheinen die vielen Lichter auf dem Weihnachtsbaum, in einer Zeit, in der das äussere Sonnenlicht spärlich ist. Ich denke an den Engel, der den Hirten auf dem freien Feld erschienen ist und sie auf den geborenen Retter aufmerksam gemacht hat. Die Hirten wussten von nichts. Sie fürchteten sich. Sie wurden aufgefordert ihre Angst abzulegen, und sie wurden vorbereitet, dass allem Volk eine grosse Freude widerfahren wird! Das ist ein vorbereitender Engel, ein verkündigender Engel, ein lobender Engel auch, der bald mit der ganzem himmlischen Heerschar singt: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens."

Eigenartig: Während meines Studiums in den 70-iger Jahren waren die Engel kein Thema. Sie erscheinen nicht im Glaubensbekenntnis. Aber sie sind in der Bibel doch sehr stark vertreten. Der Begriff Engel kommt im Alten Testament 128 mal vor, im Neuen Testament gar 175 mal. An drei Stellen werden Menschen als Engel bezeichnet (Lukas 7,24 und 9,52; Jakobus 2,25). Unterschieden wird zwischen den Engeln, die zum Hofstaat des Herrn gehören, ihm zu dienen und ihn zu preisen, und den Engeln, denen der Herr einen bestimmten Auftrag erteilt. In unserem Predigttext wird das sichtbar, indem ein erster Engel den Hirten die Botschaft überbringt und nachher von der ganzen himmlischen Heerschar im Gotteslob unterstützt wird.
Engel waren in den 70-iger Jahren kaum ein Thema. Wenn man als Student arglos sagte, man rechne mit der Existenz von Engeln, wurde man fast mitleidig belächelt. Da kommt mir Bileam (4. Mose 22,22ff.) in den Sinn, der einen falschen Weg eingeschlagen hatte und dem sich ein Engel mit gezücktem Schwert in den Weg stellte. Die Eselin hat den Engel vor ihm gesehen, wollte den Weg nicht fortsetzen, und Bileam schlug sie drei Mal, weil er dachte, sie wolle ihn verulken. Der Bote des Herrn stellte sich Bileam als Widersacher in den Weg. Die Eselin musste sich wehren, und da öffnete der Herr dem Bileam die Augen. Er sah den Engel und vernahm von ihm die Worte: "Ich bin als dein Widersacher ausgezogen, denn dein Weg ist verkehrt in meinen Augen." Und Bileam bekannte: "Ich habe gesündigt, denn ich habe nicht erkannt, dass du mir auf dem Weg entgegengetreten bist. Wenn dir nun aber die Sache missfällt, will ich umkehren."
Die Engel, die der Herr schickt, sind ein Segen für uns Menschen. Auch wenn wir sie zuerst nicht sehen. Auch wenn sie unsere Wege stören. Solche Engel helfen uns, umzukehren von unseren falschen Wegen und uns wieder in den Willen Gottes zu stellen. Sie helfen uns, nicht verbissen unterwegs zu sein, sondern nachdem wir das Heil gesehen haben, miteinzustimmen in den Lobpreis Gottes, wie es jene Hirten dann auch getan haben.

Engel, das Wort heisst Bote, sind mittlerweile wieder sehr populär geworden. Wir sehen das im Alltag in Sihlcity. Wir sehen es an den vielen Büchern zu diesem Thema. Allerorten ist von Engeln die Rede, von Engeln als schöne Gestalten aus einer anderen Welt, von Engeln, die uns schützen und bewahren, von Engeln, die angenehme Musik verbreiten.
Für die Hirten auf dem freien Feld wie schon für Bileam unterwegs mit seiner Eselin wirkte der vom Herrn geschickte Engel aber lebensverändernd. Bileam schlug mit Gott einen anderen Weg ein. Die Hirten machten sich auf, um den neugeborenen Retter zu sehen. Sie kehrten nachher zurück zu ihrer Herde, aber mit einem anderen Herzen: Sie priesen und lobten Gott für alles, was sie gesehen hatten.
In diesen Tagen hat mir jemand nachdenklich gesagt: "Immer wenn es uns gut geht, meinen wir, Gott sei mit uns. Er ist uns aber vielleicht auch besonders nahe in schwierigen Zeiten." Die Hirten fürchteten sich sehr. Bileam reagierte ungehalten und tat seiner treuen Eselin Unrecht. Wir lassen uns nicht gerne stören in unserer Arbeit, wie es die Hirten bei der Nachtwache für ihre Herde nicht sofort begrüsst haben, als der Engel mit Licht kam. Wir lassen uns nicht gerne stören auf unseren Wegen, wenn sich ein Engel mit gezücktem Schwert uns entgegenstellt, wie es bei Bileam der Fall war. "Wäre die Eselin nicht ausgewichen, so hätte ich dich jetzt umgebracht." Engel sind nicht einfach schön. Da geht es ums Leben und auch darum, ob wir uns in Frage stellen lassen; ob wir uns zurückrufen lassen in den Willen Gottes hinein, in sein Heil und in seine Gerechtigkeit hinein. Sind wir bereit, unsere Wege zu ändern; sind wir bereit, uns aufzumachen und das Heil zu schauen; sind wir bereit uns in Frage stellen zu lassen?
"Fürchtet euch nicht!" ruft der Engel den Hirten auf dem freien Feld zu. Wer den Ruf des Herrn hört und ihm folgt, hat nichts zu befürchten. Das ist oft sehr schwer. Es fordert Vertrauen in Gott, ins Leben. Es fordert die Gewissheit, dass uns viel Grösseres geschenkt wird. Nämlich etwas, das uns nicht mehr genommen werden kann, etwas, das von Gott ist und von seiner Liebe, etwas, das Ewigkeitswert hat.
Engel, die vom Herrn geschickt sind, treten ja so verschieden an uns Menschen heran. Aber immer greifen sie mit ihrer Botschaft von Gott in unser Leben ein. Immer verändern sie etwas. Sie greifen in den Lebenslauf von Menschen ein, und die himmlische Heerschar steckt mit ihrem schönen Gotteslob an.

"Die Liebe zu denen, die euch vertraut sind, bleibe" mahnt der Schreiber des Hebräerbriefes im letzten, 13. Kapitel, und er fährt fort: "Die Liebe zu denen, die euch fremd sind, aber vergesset nicht – so haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt." Hier wird auf Abraham Bezug genommen, der drei Männer beherbergte, die ihm und Sara neues Leben verhiessen. "Jeder Mensch ist ein Engel mit nur einem Flügel, und wir können nur fliegen, wenn wir uns umarmen." Dieses Wort wird dem italienischen Schriftsteller und Ingenieur Luciano De Crescenzo zugeschrieben.

Das Treppenhaus zur Sihlcity-Kirche zieren Engelbilder von Andreas Felger. Dazu hat das Team Texte ausgewählt. Jemand hat ins Anliegenbuch geschrieben: "Die Engelbilder und Texte haben es mir angetan. Herzlichen Dank."
Von der Lyrikerin Rose Ausländer sehen wir da etwa die Worte:

"Der Engel in dir
freut sich über dein Licht,
weint über deine Finsternis.
Aus seinen Flügeln rauschen
Liebesworte, Gedichte, Liebkosungen.
Er bewacht deinen Weg,
lenkt deinen Schritt
engelwärts."

Eine Frau hat gesagt, ihr gefalle halt der "Nein-Engel" von der Kinder- und Jugendbuchautorin Jutta Richter am besten. Der geht so:

"Das muss ein starker Engel sein,
der uns den Mut macht für ein Nein.

Ein Kämpferengel, der gerade geht,
der sicher auf beiden Füssen steht.
Ein trotziger Engel hell wie der Tag.
Einer, der offene Worte mag.

Das muss ein starker Engel sein,
der uns den Mut macht für ein Nein.

Ein Nein, das heisst ja etwas wagen.
Das nicht zu tun, was alle sagen,
ist schwer, viel schwerer als zu nicken,
sich einzufügen und zu schicken.

Das muss ein starker Engel sein,
der uns den Mut macht für ein Nein."

In christlicher Dienstbeflissenheit haben wir vielleicht manchmal Mühe "Nein" zu sagen, und wir leiden unter der Arbeit, die wir nicht verrichten können und meinen verrichten zu sollen. Wer nie Zeit hat, schafft aber nichts Bleibendes. Es ist wichtig, dass wir uns konzentrieren auf das Wesentliche – und alles, was wir nicht tun können, in Gottes Hände legen.

Ein Bibelwort im Treppenhaus gilt den Schutzengeln. Wir lesen im Psalm 91 (Verse 11 und 12), was demjenigen zugesagt ist, der im Schutz des Höchsten wohnt:

"Der Herr wird seinen Boten gebieten,
dich zu behüten auf allen deinen Wegen.
Auf den Händen werden sie dich tragen,
damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse."

Kleine Engel aus Glas werden an Menschen abgegeben in dieser Aktion "Ich gebe dir einen Engel mit." Eine jüngere Frau reagierte mit strahlendem Gesicht und meinte: "Den nehme ich als Schutzengel!"

Wir mögen darüber nachdenken, wann in unserem Leben Engel eingegriffen haben. Wir mögen darüber nachdenken, wann wir uns von Engeln des Herrn haben rufen lassen. Und wir mögen an die Hirten denken, die das Jesuskind schauen gegangen und nachher – Gott lobend und preisend – wieder zu ihren Herden auf dem freien Feld zurückgekehrt sind.

Ich schliesse mit einem Wort des Engländers Gilbert Keith Chesterton (1874-1936). Er fragte in einer seiner Erzählungen von Pater Brown: "Warum können Engel fliegen?" Chesterton hatte in seinem Leben oft mit Zweifeln zu ringen und musste viele Anfeindungen durchstehen. Den kleinen Pater Brown erfand er, um über den Glauben nachdenken und erzählen zu können. "Warum können Engel fliegen?" fragte er. "Weil sie sich leicht nehmen." Das gab er zur Antwort.



Sammlungsgebet

Guter Gott

Zu dir kommen wir am Morgen dieses 4. Advents.
Zu dir kommen wir um vor dich zu legen,
was uns bedrückt und bewegt,
was uns beschäftigt und erfreut.

Zu dir kommen wir in deiner Gemeinde,
um stille zu werden und Kraft zu schöpfen,
um dich anzubeten und zu lobpreisen
und um dein Wort zu hören.

Öffne unsere Herzen, wo sie verschlossen sind,
gib uns Freiheit, wo wir eingeengt sind,
gib uns Gewissheit, wo Zweifel uns quälen,
gib uns Hoffnung, wo Resignation eingetreten ist.

Sende uns deinen Heiligen Geist,
der mitwirken möge zu unserem Heil
und zu deinem Lobpreis,
der ewig gelte.

Amen.


Fürbitten

Guter Gott

Du gibst uns dein Wort mit auf den Weg,
dass es uns stärke und leite.
Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Erhalte uns in deinem Wort und Willen
wenn wir nun in den Alltag hineingehen.
Sei bei uns, deiner Gemeinde und unseren Lieben.

Wirke in den Familien bei Jung und Alt.
Sende deine Liebe, Bewahrung und Vergebung
allen Menschen und der ganzen Schöpfung.

Mit deiner Friedensbotschaft verschone davor,
nicht verstanden zu werden
und mitten im hektischen Treiben einsam zu sein.

Sende die grosse Freude des Engels,
die allem Volk widerfahren wird,
auch dieses Jahr kräftig in die unerlöste Welt.

Dass der Heiland, welcher der Christus ist, der Herr,
wahrhaftig geboren wird in unseren Menschenherzen,
die ihm zur Krippe werden dürfen.

Um all das bitten wir dich, der du bist
"Unser Vater im Himmel..."


last update: 21.12.2008