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Predigt zu Auffahrt 2008, gehalten in der St. Anna-Kapelle Zürich von Pfarrer  Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche

Predigttext: "Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch schillernde und fremdartige Lehren verführen. Denn es ist gut, dass das Herz gefestigt wird durch Gnade." – Hebr.13,8.9a

Auffahrt und Bekenntnis

Die Auffahrtspredigt sei mit dem Bekenntnis unseres Glaubens eingeleitet. Entschieden habe ich mich für den Vorläufer der bekannten Apostolischen Version, das in den ersten Jahren des 3. Jahrhunderts festgelegte "Romanum". Es geht auf ein altrömisches Taufbekenntnis des 2. Jahrhunderts zurück. Ich mag diese Fassung wegen ihrer Prägnanz und Substanz. "Romanum" (oder kurz "R") heißt es weil es sich allmählich zum Bekenntnis der römischen Kirche durchsetzte. Der Presbyter Tyrannius Rufinus von Aquileja gestand ihm in einer Schrift vom Jahre 404 zu, die Lehre der Apostel in Reinheit bewahrt zu haben. Wir erkennen darin bereits die dreigliedrige Form Vater, Sohn, Geist. – Nun sein Wortlaut:

"Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen.
Und an Christus Jesus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn. Der geboren ist aus dem Heiligen Geiste und der Jungfrau Maria. Der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde und begraben, am dritten Tage auferstand von den Toten,
auffuhr in den Himmel, sitzt zur Rechten des Vaters,
von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.
Und an den Heiligen Geist, die heilige Kirche,
die Vergebung der Sünden, des Fleisches Auferstehung."

Am Bekenntnis unseres Glaubens fallen die Tätigkeitsworte auf, die Bewegung die darin steckt, seine Dynamik. Wir haben einen Gott der etwas tut, schafft, einen Gott der etwas bewirkt zu unserem Heil: Gott Vater der Allmächtige, Schöpfer des Himmels und der Erde – und auch von uns Menschenkindern. Gott Sohn Jesus Christus der Gekreuzigt-Auferstandene, der uns in allem versteht. Und der Heilige Geist, die heilige Kirche, in der wir klare Orientierung aber auch Verständnis, Vergebung und Geborgenheit erfahren. Mit Christus sterben wir, mit Christus auferstehen wir aber auch. Diese Botschaft haben wir kürzlich an Karfreitag und Ostern vernehmen dürfen.
Und nun merken wir an Auffahrt besonders auf jene Worte im Glaubensbekenntnis, welche von Jesus Christus sagen dass er "auffuhr in den Himmel, sitzt zur Rechten des Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten."
Beim Wort "richten" könnten wir erschrecken, aber es ist nur gut, wenn jene Dinge von uns abfallen, die keinen Bestand haben; jene Dinge die nicht in der richtigen Liebe aufgehoben sind. Es ist nur gut, wenn eine Läuterung in uns geschieht – und ich rede von uns, denn es liegt nicht an uns über andere zu urteilen, auch wenn eine Beurteilung manchmal unumgänglich ist.
"Es ist gut, dass das Herz gefestigt wird durch Gnade" lesen wir in unserem Predigtwort. Wir haben einen gnädigen Gott. Und wir lernen ihn immer besser kennen durch unseren Herrn Jesus Christus und durch die Erlebnisse unseres Alltages. Die Weisheit nimmt zu, aber auch das Angewiesensein auf die Gnade und den Schutz unsres Gottes.
Für uns am heutigen Auffahrtstag zentral: Der Gekreuzigt-Auferstandene sitzt zur Rechten Gottes. Jener, dem wir in der bedürftigen Schwester und im bedürftigen Bruder begegnen; jener der zu uns spricht, wenn wir etwas brauchen und zu ihm rufen, jener ist mit Macht ausgestattet. Jener Wehrlose am Kreuz, der geschrieen hat "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Matthäus 27,46) der sitzt zur Rechten Gottes. Das macht Gott, er macht das Hohe niedrig und das Niedrige hoch. Auch in unserem Leben. Ein dynamischer Gott, der etwas bewirkt, auch in unserer Gemeinde und in unserem ganz persönlichen Leben. Der uns beim Namen ruft, der uns nahe zu sich holt, wenn wir Ihn nur hören und uns von Ihm an der Hand nehmen lassen. Oft steht uns das eigene Denken quer, die eigenen Vorstellungen, der eigene Wille. Und wir rufen zu Gott, uns zu helfen – dabei ist er schon lange an der Arbeit. Und es will mir manchmal scheinen, er habe viel solche mit uns. Wenn in diesem Jahr der Tag der Arbeit rein zufällig vom Kalendarium her auf den Auffahrtstag fällt, dann denken wir vielleicht auch an diesen Schwerstarbeiter im Himmel mit seiner unglaublich großen Macht, um die wir uns oft im Leben bringen, weil unser Glaube zu klein ist. Lasst uns Ihm Raum geben in unserem Leben, wenn die Zeit dazu da ist – und Kummer und Sorgen, die auch sein müssen und dürfen, vorüber sind. Lasst uns Ihn loben und preisen wenn die Zeit dafür da ist, denn "alles hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding unter dem Himmel hat seine Zeit" wie es der weise Prediger Salomo (3,1) einst gelehrt hat.

Diesen Glauben möchte ich nicht missen, und ich möchte ihn rein haben, wie er im "Romanum" erhalten ist. Das Bekenntnis redet zu uns. Es holt uns hinein in eine Geborgenheit und es ruft uns auf einen guten Weg. Es nimmt die Angst, es redet wahr und macht frei. So ist das Fundament unseres Glaubens: Es ist Evangelium, gute Nachricht, frohe Botschaft, schöne Post von unserem Gott. Das wollen wir nicht preisgeben, das verteidigen wir mit einem guten Bewusstsein um dessen großen Wert.

Ich wurde gebeten, heute auch von meinen Erfahrungen mit der Seelsorgearbeit im ergänzenden Angebot der Sihlcity-Kirche im gleichnamigen Einkaufs-, Freizeit- und Wellnesszentrum zu sprechen.
An einem Mittag traf ich auf der Treppe vor dem Außeneingang zur Kirche zwei junge Burschen an, die Brötchen verzehrten. Wir sprachen miteinander über Sihlcity und was sie interessiert, natürlich auch über den Mediamarkt mit den elektronischen Spielen im Angebot. "So, jetzt gehe ich wieder nach oben, ich arbeite in der Kirche" sagte ich. "Eine Kirche? Welche Konfession?" erwiderten die Knaben. "Wir sind ein ökumenisches Projekt und offen für alle." – "Lässig, wir kommen, wenn wir fertig gegessen haben!" – "Müsst Ihr nicht, ich habe auch so gerne mit Euch geredet." – "Wollen wir aber!" Wenig später beobachtete ich vom Empfangsraum aus die Beiden, wie sie sich andächtig der Kapelle näherten und eintraten. Vermutlich haben sie Kerzchen angezündet, vielleicht auch ins Anliegenbuch geschrieben. Beim Gehen winkten sie mir fröhlich zu.
Einige Wochen später – ich war abends um 9 Uhr bereits im Begriffe, die Kapelle abzuschließen – erschien einer der beiden Jungen, diesmal mit seiner Mutter, und wollte ihr unbedingt die Kirche zeigen. Sie wohnen schon seit Jahrzehnten in der Schweiz, haben verschiedene Konfessionen in der Verwandtschaft und sind daher begeistert von der Offenheit der Stadtzürcher Kirche und ihrem Angebot in Sihlcity.
Letzte Woche betrat ich die Kapelle um Kerzchen für Menschen in Not anzuzünden und darüber zu beten. Im Raum sitzt ein junger Mann, versunken im Gebet, mit gefalteten Händen. Beim genaueren Hinsehen entdecke ich, dass seine Augen auf das Rastwort der Woche gerichtet sind, das er über die Lehne des Vorderstuhles geschlagen hat und aufmerksam liest. So verweilt er über längere Zeit hinweg.
Die Kirche in Sihlcity steht klar auf christlichem ökumenischem Boden. Das Wort "Boden" bedeutet hier zweierlei: Zum einen das Christentum und seine Heilige Schrift als unser Fundament, und zum andern ist damit gemeint, dass das Christentum auch auf unserem Schweizer Boden mit seinen Werten gewachsen ist. An diesen Werten – welche auch in unserer Bundesverfassung ihren Ausdruck finden – muss jede Generation weiterarbeiten. Sie sind weder vom Himmel gefallen noch selbstverständlich.
In der Sihlcity-Kirche haben Andersgläubige und solche, welche sich zu keiner Konfession zählen, Gastrecht. Das bewirkt ganz viel. Mit dieser Offenheit des Konzeptes werden wir in den ansässigen Firmen und beim Management der Sihlcity begrüßt. Täglich wird die Kapelle von fünfzig bis einhundertzwanzig Besucherinnen und Besuchern jeden Alters und jeder Herkunft, vornehmlich von Christen, aufgesucht. Viele verweilen zum Gebet, schreiben ihre Sorgen und Freuden ins Anliegenbuch, zünden Kerzchen für sich und andere an oder betrachten das einmalige Glasfenster vom Luzerner Künstler Hans Erni. Es entstehen viele Gespräche rund um Glauben, Kirchen und Konfessionen; und in der Seelsorge scheinen alle denkbaren Sorgen und Nöte des alltäglichen Lebens auf.
Durch die Offenheit dieses städtischen Angebotes sind wir als Mitarbeiter in viel höherem Masse als in den Kirchgemeinden nach unserer Identität gefragt. Ein Hindu beanspruchte in einem großen Kummer ein Seelsorgegespräch. Muslime kommen täglich mehrmals zum Gebet. Buddhisten haben ihre Meditationskissen gebracht. – Wer sind wir da als Christen? Wer als Reformierte? Sind wir diesen Gästen Gesprächspartner mit eindeutiger Position?
Diese Alltagsfragen in Sihlcity widerspiegeln eigentlich die Situation, in der wir uns als Christen in der Schweiz befinden. Wir wollen einander verstehen und nicht bekämpfen. Wir wollen der Wahrheit nahe sein. Das geht weder mit Gleichgültigkeit noch mit übertriebenem Eifer, sondern nur mit gutem Willen und mit Arbeit an der eigenen Überzeugung.
Daher habe ich die Predigt mit dem Bekenntnis unseres Glaubens eingeleitet. Wir haben einen wundervollen Christusglauben, einen Glauben von der Erlösung und der Vergebung, einen Gottesglauben der Liebe, des Gerichts und der Gnade. Für uns ist jemand gestorben – er ist aber auch erweckt worden und gen Himmel gefahren. Er sitzt zur Rechten Gottes. Er wird wiederkommen. Lasst uns daher gerüstet sein. Lasst uns die Vergebung annehmen – und lasst uns sie freudig weitersagen, indem wir von unseren Erlebnissen mit Gott berichten, der groß ist. Lasst uns dies freudig tun, damit unser Leben im Heiligen Geist rüberspringt und auch andere ansteckt. Im Sinne des Evangeliums, der guten Botschaft, der frohen Nachricht von Jesus Christus.



Eingangsgebet zur Sammlung

Guter Gott

Noch mögen uns die Gedanken und die Gefühle des Alltages dieser Woche beschäftigen:
Zerschlagene Hoffnungen, Ungelöstes, Ängste, Zermürbtheit, Enttäuschungen.
Oder es klingen Freuden nach: Schöne Entdeckungen, gelungene Gemeinschaft, erfahrene Hilfe, erlebte Güte, dargereichte Köstlichkeiten.

Wir bringen es vor Dich, wir zeigen es Dir:
Schau es an, was unsere Herzen, Sinne und Gedanken bewegt. Schau uns an. Wirf Dein feierliches und klärendes Licht auf uns in dieser Stunde des Auffahrtsgottesdienstes in unserer St. Anna-Gemeinde. Entfache Dein Licht und das Feuer Deiner Gnade in uns. Bereite uns zu für Dein Wort, Dein Mahl, Deine Gemeinschaft.

Rede zu uns in der Predigt. Lass uns Dir singen in unseren Liedern. Erhelle unsere Gemüter durch die Musik. Schenke uns Deine Vergebung und Kraft im Abendmahl, wenn wir zu wenig nach Dir gefragt, wenn wir zu wenig auf Dich gehört, und wenn wir zu wenig nach Deinem Wort gelebt haben.

Amen.


last update: 28.09.2015