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Die Tschudis in Gretschins

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Anfang des ersten Wartauer Pfarrbuches,
geschrieben durch Pfr. Herkules Tschudi im Jahre 1629


Warum Herkules Tschudi's "Güterli" (Sanduhr) zerbrach

Seit der Reformation steht die Predigt im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Der aus Tuffstein gebaute Chorbogen ist ein symbolischer Triumphbogen und will den Sieg des Lebens über den Tod darstellen! Am linken Chorpfeiler der Gretschinser Kirche wurde nach der Reformationszeit eine Einbuchtung herausgebrochen und die Kanzel darüber angebracht, denn die Kanzel hatte früher nicht hier, sondern im Schiff gestanden.

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Auf der ersten evangelischen Kanzel hatte unter andern Pfarrer Herkules Tschudi von 1629-71 gepredigt. Wie sein Nachfolger, Sohn Hans Rudolf im Totenregister schreibt, trug sein Vater während den 42 Jahren jedes Mal, wenn er die Kanzel bestieg, die Sanduhr mit, die ihm zuletzt seine eigene Todesstunde ankündete:

An dem "Mitwuchen auff den 25./15.Tag (gregor./julian. Kalender) Wintermonats (d.i. November) des 1671 Jahr Er noch gesund predigete, da dann sein gewohnte Sanduhr (die Er ordinari lange Jahr mit sich auff die Cantzel genommen) inn selbiger Predigtstund, nachdem Sie völlig durchgeloffen, und Er auch grad die Gleichnus daran eyngeführt, daß des Menschen Leben hinreyse wie ein Sandstund und zuletst gar zerbräche, fiel von sich selbsten auß ihrem Gehallt (d.h. Gestell) über die Cantzel inn die Stül hinab, da das obere lähre Güterli inn vil stuck zerbrochen, das volle aber noch gantz und unversehrt verbliben. Sollches erkennete Er alsbald für eine göttliche Erinnerung, daß sein Lauff werde vollendet sein.» Am folgenden Sonntag, auch Montags auf Andreasen Feiertag (d.i. 30. November) predigte er noch «mit gesundem Leib und lehrreychem Verstand" und segnete am Dienstag sechs Ehen ein. Dabei wurde er auf der Kanzel am Ende der Predigt so stark vom Frost befallen, daß er vor Schwäche während des Gebetes und der Einsegnung von seinen Söhnen Kaspar und Herkules gehalten werden musste. Er starb sechs Tage später am 7. Dezember 1671 am Stich (Lungenentzündung) im 70. Lebensjahr.

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Auf seinen Sohn Hans Rudolf, der volle 45 Jahre in Wartau-Gretschins das Wort Gottes verkündigte und am 24. Juni 1716 im 75. Lebensjahr verschied, folgte sein Enkel Johann Heinrich als Pfarrer nach, der auch bis zu seinem Tode im Alter von 75 Jahren anno 1750 am selben Ort diente. So ging die grosse Lutherbibel in der gleichen Familie von einer Hand zur andern und lag als Gottesbuch wohl 121 Jahre hindurch Sonntag für Sonntag, aber auch an andern kirchlichen Feiertagen aufgeschlagen auf dem Brett der alten Kanzel.


Hans Rudolf Tschudi's Abschiedsrede

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Porträt von Hans Rudolf Tschudi, Ölgemälde,
Original im Museum des Landes Glarus, Näfels

Die Abschiedsrede von Pfarrer Hans Rudolf Tschudi schrieb dann sein Sohn Johann Heinrich im Jahre 1716 wie folgt ins Kirchenbuch von Wartau-Gretschins:

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"Liebe und geehrte Vorgesetzte! Ehe ich von dieser Welt scheide, habe ich noch von Euch und zugleich der ganzen Gemeind hiermit Abscheid nehmen wollen! Die Lehr, die ich Euch auf der Kanzel und in Euren Häusern verkündet, ist diejenige, so allein zur himmlischen Seligkeit leitet, so ihr sie mit Gehorsame des Glaubens ergreifet und Folge leistet. Seid getreue und standhafte Bekenner derselben wider allen Aufsatz der Feinden! Wie dann dies mein Herzenswunsch ist: Ach Gott, heilige du sie in deiner Wahrheit, in reiner Lehr, in gottseligem Wandel. Bewahre sie vor allen Wölfen, die die Herde zerstreuen, und laße das heilige Evangelium in dieser deiner teuer erlösten Gemeind bis an das Weltende leuchten! Gib ihr den edlen Frieden, Leibs und der Seelen; das gebe er Euch, der ganzen Gemeind und jedem Glied, Eueren Haushaltungen! Hütet Euch vor Zank und Zwietracht und haltet untereinander das Band des Friedens. So ich jemand beleidiget, bitte ich um christenliche Versöhnung, gleich dann ich gegen jedermann ein versöhntes Herz habe. Indessen befehle ich Euch meinem lieben Hr. Sohn; stehet ihm zur Seiten, er wird seinen Eifer und Treue für Euer und der ganzen Gemeind Heil erzeigen. Nun dann ihr Herren, es muss geschieden sein; ich förchte den Tod nicht, der mich führet zu meinem Gott und Erlöser. Dort werden wir einander in seliger Freude wiederum sehen und ewig beisammen bleiben."


last update: 03.05.2015