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Neid



Vom Neid
Eine Predigt zu Gen. 30,14 ff. (Lea und Rahel)
gehalten von Pfr. Thomas Ter-Nedden, Fahrweid ZH, am 25. Juli 2004 in der Kirche Matthäus-Zürich


Was haben diese beiden so unterschiedlichen Geschichten gemeinsam, die von den Arbeitern, die bei ganz ungleicher Leistung gleich entlöhnt werden, und diese von den verfeindeten Schwestern, die im Gebär-Wettkampf nicht einmal mehr davor zurückschrecken, einander den umworbenen Mann abzukaufen?
Viele weitere Bibel-Geschichten hätte ich dazusetzen können:
das gemeine Komplott der Jakobssöhne gegen den jüngeren Halbbruder Joseph; die Zornestat des Kain an seinem Bruder Abel; die giftige Einrede des Judas wegen des angeblich vergeudeten Luxusparfüms; die mißgünstige Verbitterung des braven Bruders vom verlorenen Sohn....
Was haben sie alle gemeinsam? - Sie erzählen vom 'Neid', diesem zerstörerischen Urgefühl, das der Prediger Salomo direkt neben Liebe und Haß stellt, wenn er von den Toten sagt: "Auch ihr Lieben und Hassen und Neiden ist längst dahin; sie haben an nichts mehr teil von allem, was unter der Sonne geschieht."
Nicht umsonst wird der 'Neid' seit dem frühen Mittelalter zu den '7 Todsünden' gerechnet, die nicht im Fegefeuer abgebüßt werden können. Neid ist so alt wie die Menschheit, dieser scheele Blick, der vergleicht, was ich im Einkaufswagen habe und was der Mensch neben mir. Er würde auch nicht verschwinden, wenn alle Güter gleich verteilt wären; allenfalls dann, wenn wir Menschen allesamt identische Klon-Exemplare sein würden. - Denn wir haben den – eigentlich nicht schlechten - Drang in uns, weiter zu kommen, mehr zu erreichen an Besitz oder Einfluß oder Macht oder Geltung. Wir wollen überflügeln und besonders sein, und dazu braucht es Vergleichsgrößen, eben die anderen, die wir hinter uns lassen und übertreffen. Eine längere Autofahrt auf Schweizer Straßen zeigt das schlagend.
Das Wort 'beneidenswert' drückt für uns höchstes Lob aus; 'neidlos' können wir dem anderen nur  zugestehen, was uns ohnehin nicht interessiert oder wo wir nicht mehr wetteifern, - vielleicht, weil wir uns längst bewundernd untergeordnet haben. Oder aber wir sind mit uns in Einklang,  Weise, die die Begrenzung ihrer Möglichkeiten akzeptiert haben. - So heißt es denn auch im apokryphen Buch der 'Weisheit Salomos': 'Ich will mit dem giftigen Neid nichts zu tun haben, denn er hat nichts gemein mit der Weisheit.'
Ich glaube, Neid keimt immer dort besonders gut - so ist es auch in unseren Geschichten -, wo ich im tiefsten Innern das Gefühl habe, es gehe - mir gegenüber! - ungerecht zu:
'Eigentlich bin ich mindestens genauso viel wert wie du, aber niemand merkt es!'; - Kain erschlug darum den Bruder, in der rührend-naiven Meinung, nun sei er vor Gott der erste. - Rahel verkauft für - wie sie wähnt - endlich garantierte Fruchtbarkeit den Ehemann selbst an die ohnehin schon viel erfolgreichere Konkurrentin, mit dem Effekt, daß diese sie noch einmal dreifach übertrumpft. Rahel's Neid-diktiertes Verschachern ist weidlich bestraft! - Trotzdem tönt die Rede der Lea in diesem 'Stier'-Handel erst recht 'neid'-verzerrt: 'Nicht genug, daß du mir meinen Mann weggenommen hast, jetzt willst du auch noch die Liebes-Zauber-Früchte haben, die mein Sohn gefunden hat!?' - Beide Frauen überbieten sich gegenseitig in Selbst-Unsicherheit und müssen daher neidzerfressen um den gemeinsamen Mann kämpfen: Mißgunst wegen Gattengunst und Neid wegen Gebär-Erfolgen, die Einfluß und Geltung garantieren.
Solcher Neid wiegt sicher noch schwerer als der um die Besitztümer des anderen, um den Genuß von Dingen, der mir verwehrt und ihm vergönnt ist.
Am Schluß des 20. Kap. vom Matth-Ev., wovon wir vorhin den Anfang gehört haben, bricht auch zwischen den Jüngern Jesu ein Streit los, wer von ihnen der Größte und Wichtigste sei! -
Jesus verbietet ihnen solche Diskussionen mit dem Hinweis darauf, daß sie sich doch nicht mit normalen Machthabern vergleichen könnten. Vielmehr solle der Größte sich als Jüngster und der Hochstehende als Knecht der anderen verstehen; schließlich habe auch er selbst, Jesus, so gehandelt. Damit schließt er das Neidgefühl sozusagen kurz: Wenn du etwas bist, dann stell' dich in den Dienst der anderen! -
Um dem Neid die Kraft zu nehmen, könnte man hinzufügen: vergleiche dich nicht! Du bist ohnehin unvergleichlich! Und der andere, den du da beneidest, ist es auch. - Oder wenn es unbedingt sein muß, dann vergleiche dich mit denen, die dich vielleicht beneiden! Worin würdest du dich selbst beneiden, wenn du dich von außen betrachten könntest?
- Setzen Sie hier Ihre eigenen Güter und Gaben ein, so ungeschminkt und ehrlich wie möglich. - Und sagen Sie nicht: ich bin um gar nichts zu beneiden, mich beneidet sicher niemand! - Das würde nur zeigen, daß Sie ein sehr fahl geschminktes Bild von sich selbst haben, - das wohl nicht sehr realitätsgerecht wäre.
'Neid', dieses menschliche Urgefühl, wird schon im letzten der  zehn Gebote außerordentlich ausführlich angeprangert: daß ich mit dem, was ich habe und was mir gegeben ist, nicht zufrieden bin und dazu noch das will, was der andere hat. Und es geht da nicht 'bloß' um Sachwerte, sondern auch um Lebensbeziehungen. Ein Mensch ist eben keine Tauschware, wie Lea und Rahel meinen. Der Partner des anderen Menschen ist Partner des anderen; dahinter steht eine - vielleicht schmerzliche, jedenfalls lebensvolle - Geschichte, die man nicht in neidvoller Gier wegwischen kann.
Mein Neid zeigt mir eben nie, was dem anderen sein von mir geneideter 'Besitz' bzw. sein Partner, den ich ihm neide, bedeutet - und was er ihn kostet.
Wie gesagt, im tiefsten Grund ist Neid ein Gefühl der Armut und der Schwäche:
Ich fühle mich weniger wert und vor allem einflußlos und machtlos - 'nur' mit dem, was mir gegeben ist. - Den Jüngern Jesu genügte es nicht mehr, einer in der Jüngerschar zu sein; Lea genügten ihre vier Söhne nicht, die sie Jakob schon geboren hatte,  weil er sie nicht liebte; Rahel neidete der Schwester ihre Kinder, - dabei gehörte ihr doch Jakobs Liebe!  Die fleißigen Arbeiter im Weinberg fühlten sich ungerecht behandelt, weil die Kurzarbeiter den gleichen Lohn bekamen.
Nie wird es so blutig und grundsätzlich, wie wenn es um meine Würde und mein Selbstwertgefühl geht. Solange wir hier nicht zu einem neuen Verständnis finden, kämpfen wir gegen den Neid vergebens. -
Jesus hat den Weg gewiesen, indem er sagt: 'Wenn ihr schon die Größten sein wollt, dann seid es, indem ihr die Geringsten seid!' - Man könnte auch sagen: Wahre Größe zeigt sich darin, daß sie sich nicht zu gut ist, das Geringe zu tun und Dreckarbeiten zu machen. - Sie kann das, weil sie in sich selbst ruht und ihren Wert kennt, weil sie ihre eigenen Gaben nicht geringschätzt, sondern jedenTag neu dankbar wahrnimmt und dementsprechend auch nutzt, - eben 'mit den Talenten wuchert'.
- Wenn ich meiner eigenen Begrenztheit gelassen begegnen kann (halt nun einmal keine eigene große Wohnung mehr, keinen vertrauten Lebenspartner mehr, nicht mehr so gesund), dann muß ich nicht neidzerfressen auf all dies beim anderen 'schielen' (was bedeutet 'verstohlen-vergleichend zur Seite schauen, während ich vorgebe, woanders hin zu sehen').
Noch tiefer führt uns die 'Weisheit Salomos' mit dieser 'Weisheit':
"Durch des Teufels Neid ist der Tod in die Welt gekommen, und es müssen ihn (den Tod) erfahren, die ihm (dem Teufel) angehören." (2,24f)
Neid verneint die mir gegebenen Lebensmöglichkeiten; er vermiest sie im scheelen Blick auf die viel größeren, schöneren, besseren Chancen, die der andere doch habe. Und gleichzeitig spricht der Neid dem anderen gerade seine besseren, schöneren Lebensmöglichkeiten ab, weil er sie ihm nicht gönnt. Damit dient er letztlich dem Tod, sowohl meinem eigenen als auch dem des beneideten Nächsten. Wer aber den Tod will, der ist des Teufels, denn der bekämpft das Leben, das aus Gott kommt.
Vor dem Teufel, dem diffusen Bösen, und vor seiner Frucht, dem Tod, können wir uns nur zu Gott selbst flüchten. Wir müssen nicht meinen, wir könnten ihm aus eigenen Kräften widerstehen!
All die folgenden Grundsätze können wir uns täglich vorsagen, aber wir können sie nicht von uns aus befolgen:
Höre auf, dich ängstlich und neidisch zu vergleichen! Akzeptiere, daß du einzigartiges Geschöpf Gottes bist, genauso geliebt und genauso geprüft wie alle anderen! Geh' deinen Weg, erfüll' deine Aufgabe, dann verliert das neidvolle Starren auf das vermeintliche Glück anderer seine Faszination. - 'Wer unter euch der erste sein will, der sei aller anderen Diener!' - Der Erste als Diener braucht keinen Neid mehr! - Wer in solchem Bewußtsein lebt, wird auch keinen Neid mehr erregen, so wie Joseph keinen Neid erregte, solange er im Brunnen saß; von Jesus im Garten Gethsemane ganz zu schweigen. –
Denn auch Neid-Erregen ist ein Tribut an den Teufel und eine Beihilfe zum Tod; ich bin - mindestens unfreiwillig - Anlaß, daß der andere vom Neid zerfressen wird. - Wenn ich es gar noch genieße, daß der andere mich beneidet, mache ich mich mitschuldig an seiner Mißgunst. Ich brauche sie, um mich selbst besser und wichtiger zu fühlen. - Wenn ich ihm aber das Vergleichen weniger interessant mache, indem ich ihn auch an meinen Sorgen und  Schwächen teilnehmen lasse, dann kann er sich wieder als gleichwertig neben mir statt neidvoll 'unter' mir wahrnehmen, - und der 'Tod durch Neid' hat ein Stückchen von seiner Macht verloren.
Letztlich aber kann nur Gott selbst durch seinen Geist uns ängstlichen, unsicher-neidvollen Geschöpfen das kraftvolle Bewußtsein geben: ' Ich bin jemand, ich bin so viel wert wie jeder andere, ich bin Gottes geliebtes, einzigartiges Geschöpf, ich habe meine ganz eigenen Gaben und Fähigkeiten! Ich muß niemanden beneiden um seine Talente und seinen Besitz, denn ich bin nicht er - und ich soll auch nicht sein wie er!
Rabbi Sussja, der 'Gottesnarr' unter den chassidischen Wunderrabbinern im Osteuropa des 18. Jhd., hat das auf seinem Sterbebett ganz kurz so gesagt:     "In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen 'Warum bist du nicht Mose gewesen?' - Man wird mich fragen 'Warum bist du nicht Sussja gewesen?'  - So wollen wir zu leben versuchen, - neidlos, zum Lobe Gottes!


Man findet sein eigenes Leben gleich viel schöner, wenn man aufhört, es mit dem Leben der Leute von nebenan zu vergleichen.
Spruchweisheit

"Wider Gottes gunst, schafft kein Vergunst
schafft nit sin Gunst, ist alles umsunst."
Gemälde-Inschrift, Porträt von Hans Rudolf Tschudi, Pfarrer von Wartau, Anno 1705


last update: 22.08.2015