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Martin von Tours
oder: vom rechten Gebrauch des Schwertes

Der elfte November ist der Martinstag (Anfang des Bauernwinters).
Der heilige Martin wurde um 316 im heutigen Ungarn geboren.
Als Soldat soll er seinen Mantel mit dem Schwert
in zwei Stücke gehauen haben,
um ihn mit einem frierenden
Bettler zu teilen.


Martin teilt seinen Mantel - An der Westfassade vom Basler Münster
(Ende 13. Jh., Kopie)


Martin teilt seinen Mantel mit dem Bettler - Auf der 100-er CHF-Note



15./16. November 2003 in der Wasserkirche und in der Matthäuskirche Zürich

MARTIN TEILTE SEINEN MANTEL

Eine Predigt von Pfarrer Jakob Vetsch


"Die Volksmenge fragte Johannes: Was sollen wir tun? Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Röcke hat, gebe einen dem, der keinen hat; und wer Speise hat, tue ebenso!" (Lukas 3,10-11)

An einem kalten Wintertag in Frankreich: Ein Offizier reitet hoch zu Ross durch das Stadttor von Amiens. Er nimmt einen Bettler wahr und erschrickt, denn dieser ist nackt. Wie denn? Hat sich bisher keiner seiner erbarmt, niemand sich seiner angenommen, keiner ihm etwas gegeben, womit er sich vor der Kälte hätte schützen können? Der Reiter begreift sofort: Dass der arme Mann gerade jetzt hier sitzt, ist kein Zufall. Ich komme hier vorbei, dass ich ihm helfe. Und Martin, so heisst der Offizier, zieht sein Schwert und schneidet seinen Mantel, denn sonst hat er nichts dabei, in zwei Teile, gibt die eine Hälfte dem Frierenden und legt die verbleibende Hälfte sich selber wieder um. Schnell geht er seines Weges weiter.
In der Nacht darauf aber träumt Martin. Er sieht Christus, und dieser trägt als Kleid das Stück seines Mantels, das er gestern dem Armen gegeben hat. Der Traum wühlt ihn auf, lässt ihn nicht los, und verändert sein Leben: Er begehrt mit seinen achtzehn Jahren die Taufe und wird Christ. Bald darauf verlässt er den Dienst der Waffen endgültig und verschreibt sein Leben der Liebe Christi.

Martin, dessen Denkmal wir an der Frontseite des Basler Münsters begegnen und dessen Bild wir an Kollektenbüchsen entdecken, war in Ungarn geboren. Das Land gehörte damals um das Jahr 317 zu den nordöstlichen Provinzen des Römerreiches. Sein Vater war Soldat, ein Rittmeister im Dienste des Kaisers, also so etwas wie ein Hauptmann zu Pferde. Er hatte dafür gesorgt, dass sein Sohn ebenfalls zum Militär kam. Und so lernen wir Martin als Offizier im römischen Dienst kennen, natürlich zu Pferd und mit dem Schwert an der Seite.
Die Geschichte mit dem Mantel aber trug sich nicht in Ungarn zu, sondern in Frankreich. Das gehörte damals zu den nordwestlichen Provinzen des riesigen Römerreiches, zu Gallien. Aber die grossen Zeiten des Asterix waren längst vorbei, die Römer hatten die Herrschaft fest in ihrer Hand. Es gab schon Christen im Land, und Martin muss auch etwas von Christus gehört haben, dessen Liebe für die Menschen so gross war, dass er sein Leben dafür gab. Wahrscheinlich hat er auch von seinen seltsamen Worten vernommen: "Liebe deine Feinde" oder "Selig sind die Sanftmütigen" oder "Stecke dein Schwert weg, denn wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen" oder "Was ihr für einen meiner Geringsten getan habt, das habt ihr für mich getan."
Solche Worte sind jetzt ganz in sein Leben eingetreten. Er hat den richtigen Gebrauch des Schwertes gelernt und stellt sich in den Dienst der Kirche. Später wird er Bischof von Tours und zu einem grossen Vorbild für viele Christen. Der Martinstag, der elfte November, war früher der Beginn des Bauernwinters und ein wichtiger Zinstag. Einer unserer Reformatoren trägt seinen Namen, denn er wurde am zehnten November 1483 geboren und einen Tag darauf, am elften, getauft: Martin Luther. Nach einem arbeitsreichen, bewegten Leben kritzelte der initiative Mann kurz vor seinem Tod auf einen Zettel: "Wir sind Bettler, das ist wahr."

Eine weitere, weniger bekannte Erzählung aus den goldenen Legenden des Mittelalters (Legenda aurea) schildert Martin von Tours sogar als ersten christlichen Kriegsdienstverweigerer:
Es fielen Feinde in Gallien ein. Die Römer nannten sie Barbaren und fürchteten um ihre Kultur. Der Kaiser wollte den tüchtigen Martin wieder für seine Streitmacht anheuern und versprach ihm einen sehr guten Lohn. Aber Martin lehnte ab mit den Worten: "Ich bin ein Ritter Christi. Mit dem Schwert darf ich nicht länger kämpfen."

Diese Botschaft ist brisant. Sie sagt aber etwas aus über Christus und seine Wirkung im Leben des Menschen Martin: Der christliche Gebrauch des Schwertes ist nicht das Töten, sondern das Teilen, nicht der Tod, sondern das Leben! Man darf nicht nur das schöne Bild vom Teilen des Mantels sehen, es gehört auch jenes dazu, dass Christus ins Leben von Martin eingetreten ist und sein Leben völlig verändert hat. Es geht also zum einen darum, das Gute zu tun, zum andern aber auch darum, für den Frieden zu arbeiten.

Eine dritte Geschichte aus den goldenen Legenden betont sein Engagement für die Benachteiligten, für das er die Kraft von Gott erhält. Sie gehört in sein späteres Leben. Er ist schon lange Bischof von Tours, und ein anderer Kaiser regiert, der selber Christ ist. Jedenfalls geht die Geschichte so:

Martin möchte zum Kaiser, um sich für seine armen Nachbarn und deren Kinder einzusetzen. Der Kaiser muss das geahnt haben. Er hält die Tore des Palastes geschlossen, weil er nicht helfen will. Ein zweites und ein drittes Mal kommt Martin vergebens.
Das setzt Martin zu. Er zieht er sich einen Sack über, streut Asche auf seinen Kopf und fastet eine Woche lang. Nachher begibt er sich, weil ihn ein Engel geheissen hat, wieder zum Palast und kommt, durch verschlossene Tore, bis vor den Kaiser. Der Kaiser sieht ihn kommen, wird zornig, dass Martin eingelassen wurde, und bleibt trotzig auf seinem Stuhl sitzen.
So, der christliche Kaiser bleibt also sitzen. Steht vor dem Bischof nicht einmal auf! Die goldenen Legenden runden die Geschichte ab, indem sie berichten, was jetzt geschieht: Plötzlich bedeckt ein Feuer den königlichen Thron und brennt den Kaiser ans Hinterteil, sodass er aufstehen und bekennen muss, Gottes Macht gespürt zu haben. Er umarmt Martin und bewilligt ihm alles, bevor dieser zu Wort kommt.

Da musste also jemand "seinen Hintern lupfen". Wo die Liebe Christi brennt, muss man einfach tun, was Gott will, und das gilt für alle. Es ist aber auch klar, dass Heilige einem auf die Nerven gehen können. Das Hauptbekenntnis der Reformation, das Augsburger Bekenntnis, sagt, man soll die Heiligen nicht anrufen und keine Hilfe bei ihnen suchen. Das soll man nur bei Gott selber. Es sagt aber weiter, dass man den Heiligen gedenken und seinen Glauben damit stärken soll.

Die drei Martinsgeschichten sind gut dafür: Das Teilen, das Nein-Sagen und das Türen-Einrennen. Alles in der Nachfolge Christi und mit Gottes Hilfe.



Zwei Martin-Links: Heiligenlexikon, Martin von Tours



last update: 31.08.2015