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Gemeinschaft


Möwen auf Nahrungssuche am Bodensee
Foto: Jakob Vetsch, 1991


Die kleine Schraube

Vielleicht können wir die Gemeinschaft mit einer Schraube vergleichen, die in einem riesigen Panzerschiff mit tausend anderen Schrauben sitzt und zwei Stahlplatten zusammenhält. 
Eines Tages sagt die Schraube: "Ich will es mir ein bisschen bequem machen; das ist ja meine eigene Sache und geht niemand etwas an!" 
Aber als die anderen Schrauben hören, dass da eine etwas locker werden will, da protestieren sie und rufen: "Bist du verrückt? Wenn du herausfällst, dann wird es nicht lange dauern, bis auch wir herausfallen."
Zwei grössere eiserne Rippen schlagen auch Alarm: "Um Gottes willen, haltet die Platten zusammen, denn sonst ist es auch um uns geschehen."
In Windeseile geht das Gerücht durch das ganze Schiff: "Die kleine Schraube hat was vor!" Alles ist entsetzt. Der riesige Körper des Schiffes ächzt und bebt in allen Fugen. Und alle Rippen, Platten und Schrauben senden eine gemeinsame Botschaft an die kleine Schraube und bitten sie, nur ja an ihrer Stelle zu bleiben, sonst werde das ganze Schiff untergehen, und keiner werde den Hafen erreichen.

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"Chinesen Laternli" als Tischschmuck in der Sihlcity-Kirche Zürich
Foto: Jakob Vetsch, 25. August 2009

Wie fruchtbar ist der kleinste Kreis,
wenn man ihn wohl zu pflegen weiss.
Johann Wolfgang von Goethe


Die sieben Stäbe 

Ein Vater hatte sieben Söhne, die öfter miteinander uneins waren. Über dem Zanken und Streiten versäumten sie die Arbeit. Ja, einige böse Menschen hatten im Sinne, diese Uneinigkeit zu benutzen, um die Söhne nach dem Tod ihres Vaters um ihr Erbteil zu bringen.
Da liess der alte Mann alle sieben Söhne zusammenkommen, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebunden waren, und sagte: "Dem von euch, der dieses Bündel Stäbe zerbricht, zahle ich hundert grosse Taler." 
Einer nach dem andern strengte alle seine Kräfte an, und jeder sagte nach langem vergeblichen Bemühen: "Es ist gar nicht möglich!"
"Und doch", sagte der Vater, "ist nichts leichter!" Er löste das Bündel auf und zerbrach einen Stab nach dem andern mit geringer Mühe. 
"Ei", riefen die Söhne, "so ist es freilich leicht, so könnte es ein kleiner Knabe!" 
Der Vater aber sprach: "Wie es mit diesen Stäben ist, so ist es mit euch, meine Söhne. Solange ihr fest zusammenhaltet, werdet ihr bestehen, und niemand wird euch überwältigen können. Wird aber das Band der Eintracht, das euch verbinden soll, aufgelöst, so geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen auf dem Boden herumliegen." 

Beispielgeschichte von Christoph Schmid


Der linke und der rechte Flügel

Es war einmal ein kleiner Engel im Himmel, der den unwiderstehlichen Wunsch empfand, sich mit seinen Flügeln nicht nur schützend über die Menschen zu stellen. Er wollte selber auf ihren Strassen und Wegen gehen: einer von ihnen werden. Und eines Tages erblickte er eine eben erblühte Mohnblume. Da schien es dem jungen Engel, als habe er im Himmel noch nie ein solches Rot gesehen. Seine Sehnsucht, den feurigen Mohn aus nächster Nähe zu betrachten, wuchs mit jedem Tag. So trat er vor die Augen Gottes und bat: "Lass mich bitte auf die Erde; lass mich doch ein Mensch unter Menschen werden!" Sogleich trat ein weiser Engel hinzu und entgegnete: "Du weißt doch, dass es auf der Erde nicht nur Sonne und Blumen gibt. Es hat auch Stürme und Unwetter und allerhand Ungemütliches." "Ja", erwiderte der kleine Engel, "das weiss ich. Doch sah ich auch einen Menschen, der hatte die Kraft, einen grossen Schirm auszuspannen, so dass darunter zwei Platz fanden. Und es schien mir, den beiden könne kein Unwetter etwas antun." Da lächelte Gott dem kleinen Besserwisser zu. Die Zeit verging, und eines Tages erschien das junge Wesen erneut vor dem Thron Gottes: "Ich habe mir noch mehr von der Erde angesehen. Es drängt mich mehr und mehr hinunter." Wieder trat der erhabene Engel vor und belehrte: "Weisst du auch, dass es Nebel und Fröste gibt und eine Unzahl verschiedener Arten von Glatteis auf der Erde? "Ja sicher", meinte der kleine Engel, "ich weiss um die Gefahren. Doch ich sah auch Menschen, die teilten ihre warmen Mäntel, und andere, die gingen bei Glatteis Arm in Arm." Erneut lächelte Gott dem himmlischen Erdenträumer zu. Als dann wieder einige Jahre verstrichen waren, trat der kleine Engel zum dritten Mal in die Gegenwart Gottes und flehte: "Bitte, lass mich ein Mensch werden. Der Mohn blüht dort unten so unbeschreiblich rot. Mein Herz ist voller Sehnsucht nach diesem Feuer!" Schon wieder trat der erhabene Schutzengel dazwischen."Weisst du denn nicht, wie schnell diese Art von Blumen welkt, dass sie zerbrechlich und verwundbar sind?" "Bestimmt, und ich weiss auch um die Sterblichkeit. Trotzdem gibt es kein roteres Rot in der Welt und in meinem Herzen. Es lässt mir keine Ruhe mehr." Nun entsprach Gott dem Wunsch des unruhigen Geistes. Doch gemäss alter Tradition musste dieser einen seiner beiden Flügel an der Himmelspforte abgeben. Und so kam es, dass der kleine Engel auf der Erde die Suche nach seinem feurigen Mohnfeld etwas schwerfällig und mit Linksdrall begann. Der Weg führte ihn durch die weite Welt. Ständig wurde er aufgehalten; die Erde schien auf einmal nur noch aus Stürmen und Ungemütlichem zu bestehen. Je verzweifelter er suchte, um so mehr Unverständnis und Ablehnung fand er vor. Niemand wollte mit dem unerfahrenen Engel gemeinsame Sache machen; keiner spannte für ihn einen grossen Schirm auf, und einen wärmenden Mantel bekam er schon gar nicht. Waren etwa das flammende Rot der Mohnblume und all die guten Menschen auf der Erde bloss eine optische Täuschung aus dem Jenseits gewesen? Doch das Verlangen war stärker als der Zweifel. Obwohl es aussichtslos schien, blieb er seiner Suche entschlossen treu. So gelangte er eines Tages müde an den Rand eines Abgrundes. In der Ferne entdeckte er, jenseits eines gewaltigen Flusses, sein ersehntes Mohnfeld. Ein derart festliches Rot hatte er nun wirklich noch nie gesehen! Er meinte, das Blut von Mutter Erde vor sich zu haben. Der alt gewordene kleine Engel weinte vor Freude und Trauer zugleich. Denn er musste einsehen, dass er diesen Graben ohne fremde Hilfe niemals würde überqueren können. Während er vor sich hintrauerte, gesellte sich ein Wanderer zu ihm, und gemeinsam bestaunten sie den unbeschreiblich glühenden Horizont. Gezeichnet von den Stürmen des Lebens überlegte der Engel: "So müsste denn wohl die Farbe der Liebe sein." "Ja, aber weisst du denn nicht, wie schnell diese Art von Blumen welkt, dass sie verwundbar und zerbrechlich sind?", hörte der ehemalige Himmelsbewohner seinen Begleiter flüstern. Und der Mensch, der einmal ein Engel gewesen war, erinnerte sich plötzlich an all das, was er einmal selber im Angesichte Gottes behauptet hatte. "Ja, ich weiss um ihre Sterblichkeit. Trotzdem gibt es kein roteres Rot in der Welt und in meinen Herzen. Diese Blumen sind wie die Liebe. Mag das Äussere auch verwelken, ihr Rot bleibt in meiner Seele." Da blickten sich die beiden Wanderer ins Gesicht. Sie erkannten den letzten Funken Himmelslicht in den Augen des Anderen. Und mit einem Schlag wussten sie, woher sie kamen, wozu sie gewandert und wohin sie noch unterwegs waren. Sie entdeckten auch, dass jeder von ihnen bloss einen Flügel besass. Voller Freude umarmten sie sich. Ein Wunder geschah: Gemeinsam konnten sie fliegen, gelangten sogar zum feurigen Mohnfeld und noch viel weiter... So sind auch wir Menschen wie Engel mit nur einem Flügel. Wenn wir unser Ziel erreichen und fliegen wollen, müssen wir einander umarmen.

Herkunft unbekannt



Einer trage des andern Last: Die Antilopen in Bachi State


last update: 05.11.2015