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Feier



Der Stille

Ein Weiser hatte die merkwürdige Angewohnheit, sich jeden Abend um die gleiche Zeit von seinen Freunden zu verabschieden. Fragte man ihn, wohin er denn gehe, pflegte er zu erwidern, er sei noch zu einer Feier eingeladen. 
Es fiel den Freunden jedoch auf, dass er sich dann stets in sein eigenes Haus begab und nicht mehr gesehen wurde. Sie rätselten und stellten die verschiedensten Vermutungen an, was es wohl mit diesem seltsamen Brauch des Weisen auf sich haben könnte. 
Eines Abends vermochten sie ihre Neugierde nicht mehr zu zähmen. Sie fassten den Entschluss, ihm auf leisen Sohlen zu folgen und sein Tun durch das Fenster zu beobachten. 
Und was sahen sie da? Ihr Freund kniete in seiner Kammer auf dem Boden. Er hielt seine Augen andächtig geschlossen und hatte seine Hände auf der Brust andächtig gefaltet... 
Die Freunde des Weisen waren dermassen beeindruckt ob dem Gesehenen, dass sie sich unbemerkt - wie sie gekommen waren - auch wieder von seinem Haus entfernten. Fortan wussten sie um sein Geheimnis und die Bewandtnis seiner allabendlichen Feier. Und sie hatten begriffen, dass er auf diese Weise aus jedem Tag ein kleines Fest für sein Leben machte, das auch ein Segen für seine Umgebung bedeutete. 

Jakob Vetsch, 14.11.1989


28.09.2015