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Vaterland Welt



Predigt zum Sonntag, 17. April 2016
St. Anna Gemeinde Zürich, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch

"Die ganze Welt ist ein gemeinsames Vaterland" (Erasmus)

Predigttext (Philipper 4,7-9):
"Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus (...) Was wahr ist, was achtenswert, was gerecht, was lauter, was wohlgefällig, was angesehen, wann immer etwas taugt und Lob verdient, das bedenket! (...) Und der Gott des Friedens wird mit euch sein."

Liebe Gemeinde

Eine Nachrichtenmeldung vom 28. März 2016 lautete nach „20 Minuten“ (TA-Medien): "Taliban-Anschlag an Ostern galt Christen-Familien". Mindestens 72 Menschen wurden getötet bei dem Selbstmordattentat im pakistanischen Lahore. Darunter befanden sich 29 Kinder. Ein Sprecher der radikalen Gruppierung bestätigte: "Das Attentat haben wir begangen, weil Christen unser Ziel sind." Getroffen hat der Anschlag in der Nähe eines Spielplatzes, wo Kinder schaukelten, jedoch vor allem Muslime.

Wie dem auch sei, es ist tragisch. Für die Betroffenen und für die Welt. Denn derlei Schlagzeilen samt Bildern drohen alltäglich zu werden. "Unsere Selbstmord-Attentäter werden solche Anschläge wiederholen" war noch zu vernehmen. Die Identifizierung ergab, dass es sich diesmal um einen 28-jährigen Lehrer von einer Religionsschule gehandelt hatte. Attentate sind nicht neu in der Menschheitsgeschichte, aber die "religiöse Sprengkraft" in moderner Zeit erschreckt, ängstigt – und führt zu einer vermehrten Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln auch bei uns in der Schweiz.

Da fallen etwa Sätze einer Glaubensperson auf – und sie mögen einem aus dem Herzen sprechen –, Sätze, die vor rund 500 Jahren mutig und weit vorausblickend ausgesprochen wurden: "Die ganze Welt ist ein gemeinsames Vaterland." Sie stammen von Erasmus von Rotterdam (ca. 1466-1536), dem Priester, Philosophen, Sprachwissenschaftler und Autor, der auch in Basel gewirkt und auf seine Weise der Reformation wichtige Vorarbeit geleistet hatte. Die zitierte Schrift hiess "QUERELA PACIS" ("Die Klage des Friedens"), die im Jahre 1517 erschienen war und in welcher der Autor sein Unverständnis gegenüber der mörderischen Zwietracht der Nationen geäussert und den Widersinn der Gehässigkeiten zwischen Engländern, Deutschen und Franzosen gebrandmarkt und verzweifelt gefragte hatte: "Warum zertrennen uns alle diese närrischen Namen mehr, denn [Anmerkung: als] uns der Name Christi vereint?" Den nationalen und religiösen Fanatikern hielt er das Verbindende entgegen und stellte das Europäische über das Nationale, das allgemein Menschliche über das Vaterländische, und den Begriff der Christenheit als einer blossen Religionsgemeinschaft wollte er gewandelt wissen in eine universale Christlichkeit einer hingebenden, dienenden und demütigen Menschheitsliebe. Voller Schmerzen über das unheilsame Zeitgeschehen rief Erasmus in seiner Schrift aus: "Kreuz kämpft gegen Kreuz, Christus führt Krieg mit Christus!" Er resümierte: "Angenehm ist der Krieg nur denen, die ihn nicht erfahren haben!" (lat. "Dulce bellum inexpertis!")

Im Jahre 2012 hat Bundesrat Alain Berset zum 25. Geburtstag des EU-Austauschprogramms Erasmus am 27. September in Bern auch Bezug auf den Namensgeber des Bildungsprogrammes und sein Wort "Die ganze Welt ist ein gemeinsames Vaterland" genommen. Einige Zitate aus seiner Rede: "Er hat die Mobilität gelebt, um die es im Bildungsprogramm geht, das seinen klingenden Namen trägt. Erasmus sah weite Teile der damals gezeichneten Weltkarte mit eigenen Augen (...) Er war eine Art Weltenbürger. Und das an der Schwelle zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert. Er war einer, der über das eigene Gärtchen hinausging. Und hinausschaute. Und vor allem hinausdachte. (...) Er wollte zeitlebens lernen, weiter lernen. Darum ist 'Erasmus' die Kurzform für 'EuRopean Action Scheme for the Mobility of University Students' – der ideale Name für das europäische Bildungsprogramm."

Soweit der Redner zur 25-Jahr-Feier des Austauschprogrammes Erasmus. Spürbar ist der Geist, der verbinden und weitertragen wollte in eine gute Zukunft für Alle. Der Geist, der die Welt als ein Vaterland für Jede(n) sah. Vor rund 500 Jahren. Im festen Glauben: Christus ist weit! Die Liebe Gottes ist gross! – Da können wir nur schöpfen und weitergeben.
Allerdings gilt bei allem guten Willen gerade auch das Jesus-Wort: "Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!" (Matthäus 10,16) Blauäugigkeit ist gefährlich, auch wenn sie lange hinhalten kann. Es gibt eben in diesen Tagen auch noch ganz andere Schlagzeilen zu lesen, und wir merken es in der täglichen kirchlichen Arbeit ansatzweise konkret: „Religion wird wichtiger“ (in: "Wie der Terror unsere Gesellschaft verändert", aus "20 Minuten" vom 28. März 2016). Die Soziologin Katja Rost sinniert: "Die Menschen besinnen sich auf grundsätzliche Werte (...) Veranstaltungen wie Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen gewinnen an Bedeutung, weil die Menschen darin eine gewisse Geborgenheit finden."
Wir haben uns nochmals ganz neu und bestimmt auf unseren ureigenen Glauben zu besinnen, seine Wurzeln, seine Quellen, seinen Sinn, seine Kraft in unserem Leben; und zwar zuerst wir haben das zu tun, und nicht irgend welche anderen.

Dietrich Bonhoeffer geht uns da einmal mehr voraus: "Der Friede Gottes ist ein Friede, der höher ist als alle Vernunft (…) Der Friede Gottes ist die Treue Gottes unserer Untreue zum Trotz, im Frieden Gottes sind wir geborgen, behütet und geliebt. Freilich er nimmt uns unsere Sorge, unsere Verantwortung, unsere Unruhe nicht völlig ab, aber hinter all dem Treiben und Sorgen ist der göttliche Friedensbogen aufgegangen, wir wissen unser Leben getragen und in Einheit mit dem ewigen Leben Gottes, wir wissen, dass der Riss, den wir immer wieder schmerzlich empfinden müssen, nur ein immer erneuerter Hinweis darauf ist, dass Gott den Riss geschlossen hat, dass er uns in sein Leben hineingezogen, so wie wir sind, als Menschen der Erde, als Menschen mit Herzen und Sinnen, das heisst in der Sprache der Bibel: mit Leidenschaften und Nöten, mit den Eindrücken der Welt befangen."

Bonhoeffer nimmt Bezug auf unseren Predigttext vom Philipperbrief, wo zu Beginn der "Friede Gottes" [griech. ἡ εἰρήνη τοῦ θεοῦ] und am Schluss der "Gott des Friedens" [griech. ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης] genannt ist. Ist das nicht spannend, befreiend, erlösend? Wir haben einen "Gott des Friedens", und der "Friede Gottes" soll uns bewahren in Christus Jesus. Dazu kann man nur das Jesus-Wort setzen: "Wer Ohren hat, der höre!" (Matthäus 11,15)

Ich schliesse diese Predigt mit den letzten Worten der Friedensforscherin Bertha von Suttner (1843-1914), die sie nur wenige Wochen vor den Schüssen in Sarajewo und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu ihrem Mitarbeiter Alfred Hermann Fried gesprochen haben soll: "Die Waffen nieder! – – sag's vielen – vielen." Ja, "die Waffen nieder", und wir Christen dürfen dazu noch sagen: "Das Bekenntnis hoch!" Das Bekenntnis zum "Gott des Friedens".

Amen.



GOTTESDIENSTABLAUF

Orgeleingangsspiel

Grusswort
"Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat." (Psalm 103,1-2)

Lied 572,1-5 ("Morgenglanz der Ewigkeit")

Gebet zur Sammlung (Bruder-Klausen-Gebet):
Mein Herr und mein Gott
nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott
gib alles mir,
was mich führet zu dir.
Mein Herr und mein Gott
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir.
Amen.

Lesung (Psalm 85,8-14)
"Lass uns, Herr, deine Güte schauen,
und schenke uns deine Hilfe.
Ich will hören, was Gott spricht;
der Herr, er verkündet Frieden
seinem Volk und seinen Getreuen,
damit sie nicht wieder der Torheit verfallen.
Nahe ist denen seine Hilfe, die ihn fürchten,
dass Herrlichkeit wohne in unserem Land.
Gnade und Treue finden zusammen,
es küssen sich Gerechtigkeit und Friede.
Treue sprosst aus der Erde,
und Gerechtigkeit schaut vom Himmel hernieder.
Der Herr gibt das Gute
und unser Land seinen Ertrag.
Gerechtigkeit geht vor ihm her
und bestimmt den Weg seiner Schritte."

Lied  ("156,1-4", "Herr Jesu Christ, dich zu uns wend")

Predigttext: Philipper 4,7-9 (Herr Theo Gomringer)
"Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus (...) Was wahr ist, was achtenswert, was gerecht, was lauter, was wohlgefällig, was angesehen, wann immer etwas taugt und Lob verdient, das bedenket! (...) Und der Gott des Friedens wird mit euch sein."

PREDIGT: "Die ganze Welt ein Vaterland" (Erasmus)

Orgelzwischenspiel

Gebet (Friedensgebet nach Franziskus):
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens
Lass mich Liebe bringen in den Hass
Verzeihung in die Schuld
und Einheit in die Zwietracht
Lass mich Wahrheit bringen in den Irrtum
Glauben in den Zweifel
und Hoffnung in die Verzweiflung
Lass mich Licht bringen in das Dunkel
und Freude in die Traurigkeit
O Herr
Lass mich mehr danach trachten
zu trösten als Trost zu finden
zu verstehen als Verständnis zu erfahren
zu lieben als Liebe zu kosten
Denn im Geben empfange ich
und im Mich-Vergessen finde ich mich
im Verzeihen erfahre ich Verzeihung
und im Sterben stehe ich auf zum ewigen Leben ...

... der du bist: Unser Vater im Himmel ...

Lied 690,1-4 ("Jesu, geh voran auf der Lebensbahn")

Mitteilungen

Lied 724,1-3 ("Sollt ich meinem Gott nicht singen?")

Segen
Beim ersten Licht der Sonne heute sei gesegnet!
Wenn der lange Tag gegangen ist – sei gesegnet!
In deinem Lächeln und in deinen Tränen – sei gesegnet!
An jedem Tag deines Lebens – sei gesegnet!
Amen.
(Altirischer Segensspruch)

Orgelausgangsspiel



Predigt "Vaterland Welt" im PDF-Format


 
last update: 18.05.2016