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Predigt zum Taufgottesdienst am Sonntag, den 26. September 2010,
gehalten in der Kirche von Unterstrass, Zürich,
durch Pfr. Jakob Vetsch, Sihlcity-Kirche


Gebote und Lebensfülle

Predigttext:
„Meint nicht, ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen.
Nicht um aufzulösen, bin ich gekommen, sondern um zu erfüllen. Denn, amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, soll vom Gesetz nicht ein einziges Jota oder ein einziges Häkchen vergehen, bis alles geschieht. Wer also auch nur eines dieser Gebote auflöst,
und sei es das kleinste, und die Menschen so lehrt, der wird der Geringste sein im Himmelreich. Wer aber tut, was das Gebot verlangt, und so lehrt, der wird gross sein im Himmelreich.Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.“
Matthäus-Evangelium 5,17-20

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Septemberlichter: Sonnenblumen in der Kirche von Sihlcity in Zürich


Liebe Gemeinde!

Am Donnerstag war es so weit: Auf den heiss ersehnten, neuen Balkonterrassen bei uns zuhause wurden die Geländer montiert. Kaum zu fassen: Jetzt, wo die Betonböden eine klare Begrenzung haben, wirken sie grösser! Jetzt sieht man genau, wo die Stehfläche endet, und wenn sie dann freigegeben ist, kann man sie voll auskosten und bis zum äussersten Zentimeter betreten.
So eine ähnliche Erfahrung habe ich doch schon mal gemacht, kommt mir in den Sinn: An einer früheren Wirkungsstätte fehlte auf dem Plätzchen hinter der Kirche ein Haag zum gegen die Strasse hin steil abfallenden Felsen. Wir dachten uns weiter nichts dabei, bis ich eines Tages in meiner Predigtarbeit jäh unterbrochen werde. Es läutet an der Haustüre. Ich öffne sie und sehe mich zwei Militärmännern von der nahen Festung gegenüber, die eines meiner Kinder auf den Armen halten. "Er ist mit dem Schreck davon gekommen," beruhigen sie mich, "aber da oben hinter der Kirche sollte mal ein Zaun hin. Der Kleine fiel uns direkt vors Auto; wir konnten grad noch anhalten. Ob er keine inneren Verletzungen hat, wissen wir allerdings nicht, das müsste eine Arztperson untersuchen."
Sie können sich bestimmt lebhaft vorstellen, was für ein Film bei mir abgelaufen ist und wie mir zumute war! Selten noch erfasste mich eine derartige Mischung von Schreck, Beruhigung, Bewahrung, Dankbarkeit, Lobpreis und dann aber auch Ungewissheit. Jedenfalls liess der Weg zum Arzt nicht lange auf sich warten, und wir waren alle froh, als auch dieser Bescheid gut war.
Nun wurden aber auch sorgfältige Herstellung und Montage eines schönen und praktischen Schmiedeisenzaunes hinter der Kirche schnell in Angriff genommen. Und siehe da: Kaum stand er, war jenes Plätzli hinter der Kirche für uns alle grösser geworden. Wir konnten es voll ausnützen.
"Die Gebote sind nicht die Begrenzung der menschlichen Lebensmöglichkeiten. Sie sind die Verlockung zu grösserem Reichtum für alle." So sagt es Fulbert Steffensky, der ehemalige Benediktinermönch und spätere Theologieprofessor sowie Gatte von Dorothee Sölle.
Ja, Gott gibt uns nicht nur die Möglichkeiten, die Weite und die Fülle des Lebens, die wir in den Farben und Früchten der Herbstfülle wieder ganz besonders geniessen, sondern er zeigt uns mit seinen Geboten auch die Grenzen auf. Damit will er uns nicht bloss eingrenzen und unsere menschlichen Lebensmöglichkeiten eindämmen, sondern im Gegenteil, er will uns den Fächer des Lebens weit öffnen und das Leben reifen lassen.
Ob jene Zaun-Erfahrung als Gleichnis auf das Leben angewendet werden kann? Auch da gibt es einen Anfang und ein Ende. Damit unser Leben besser gelingt? Damit es nicht an der Oberfläche bleibt? Oder nicht in Bedeutungslosigkeit versinkt? Damit jeder Tag sein Gewicht bekommt und jeder Sonnenuntergang und jeder Vollmond, den wir ja auch gerade hatten, einzigartig ist? Kein Tag kann wiederholt werden. Aber er kann bewusst ausgekostet werden und uns bedeutungsvoll sein mit seiner Offenheit und seiner Grenze.

Wenn wir an Grenzen stossen, wenn etwas nicht gelingen will, dann müssen wir nicht hadern oder verzweifeln, wir dürfen daran denken, was Gott uns gebietet. Und wir dürfen darauf vertrauen, dass er es gut mit uns meint.
"Des Menschen Herz denkt sich einen Weg aus, doch Gott lenkt seinen Schritt." So konnten wir Sprüche 16,9 in einer alten Übersetzung lesen. In der neuen Zürcher Bibel heisst es: "Das Herz des Menschen plant seinen Weg, aber der Herr lenkt seinen Schritt." Der Volksmund sagt eh kurz: "Der Mensch denkt, Gott lenkt."
Wir tun gut daran, auf Gottes Wort, auf seine Gebote und Verheissungen, auf seine gute Nachricht, sein Evangelium, immer wieder neu zu hören, in uns zu gehen und das Leben immer wieder neu auszurichten, neu zu orientieren an ihm und seinen unvergänglichen Wort.
Dann bleiben wir nicht im Räumlichen und Zeitlichen stecken. Dann kosten wir Früchte mit Ewigkeitswert.

Amen.

 

last update: 23.09.2010