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Predigt zum 1. Advent 2006, gehalten von Pfarrer Jakob Vetsch in der Kirche von Zürich-Matthäus

Freude und Mitfreude

"Freuet euch im Herrn allezeit;
nochmals will ich sagen: Freuet euch!
Lasset eure Freundlichkeit allen Menschen kundwerden!
Der Herr ist nahe."
Philipperbrief 4,4.5


Dieses bekannte Bibelwort des Apostels Paulus ruft zur Freude auf. Warum denn muss zur Freude aufgerufen werden, warum denn stellt sie keine Selbstverständlichkeit dar, warum denn quillt sie nicht von sich aus vom Herzen empor? Das ist also schon ganz eigenartig. Das sollte in einer christlichen Gemeinde doch nicht nötig sein.

Paulus nennt den Grund zur Freude: Die Nähe des Herrn, die wir in der Adventszeit spüren. Und er bezeichnet auch die Konsequenz der Freude, nämlich dass wir sie weitergeben.

Lasst uns darüber nachdenken, wie wir es mit der adventlichen Freude haben. Ein weiser Römer hat einmal gesagt, wahre Freude sei eine ernsthafte Angelegenheit. Dem wird man beipflichten müssen, wenn wir uns mal seriös überlegen, wie wir es mit der Freude haben und wie es mit der Freude um uns herum bestellt ist.

Im Frühling erfuhr ich, dass zwei deutsche Berufskollegen aus gesamtkirchlichen Spezialaufgaben heraus neue Gemeindepfarrstellen antreten. Spontan gratulierte ich Ihnen, ermunterte sie und drückte meine große Freude aus. Worauf mir der eine zurücksagte, das sei selten. "Wie, was meinst Du damit?" erwiderte ich. "Ja, solche Mitfreude ist selten."
Ich war erschüttert. Wie armselig ist unser Leben! Wir können uns nicht freuen, geschweige denn mitfreuen.

Der ausgezeichnete Menschenkenner Friedrich Nietzsche beobachtete: "Seit es Menschen gibt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut." Und er gibt das Rezept: "Lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, andern weh zu tun und Wehes auszudenken." Ein Nicht-Christ schreibt uns da etwas ins Stammbuch.
Dahinter liegen einfache, aber tiefe Erkenntnisse: Wer zu wahrer Freude und Mitfreude unfähig ist, wird gegenüber sich selbst und im Umgang mit Anderen unfreundlich. Wenn wir daran denken, was Gott für uns getan hat - gerade in der Adventszeit sehen wir das doch förmlich! - muss das als Verantwortungslosigkeit und Sünde gelten.
Eine andere Einsicht, die aus Nietzsches Worten spricht: Offensichtlich ist Freude lernbar. Schon nur das ist Grund zur Freude: Es braucht nichts so zu bleiben, wie es ist. Es besteht Hoffnung.

Ein persönliches Beispiel hat der Verfasser schöner Loblieder Paul Gerhardt gegeben. Seine erste Pfarrstelle trat er Ende 1651 an. Es handelte sich nicht um ein Prestigeamt, sondern er arbeitete in einer armen Gemeinde. Der Dreißigjährige Krieg war gerade mal seit drei Jahren abgeschlossen. Von früher 245 Feuerstellen gab es nur noch deren 24 in der Gemeinde. Von den 1200 Einwohnern waren nur 300 am Leben geblieben. Und von den rund 100 Häusern waren nur noch 23 übrig geblieben. Verwüstet, geplündert, verbrannt das Äußere. Und in den Herzen der Menschen: Angst, Albträume, Verzweiflung, Kummer. In diese Situation hinein schrieb Paul Gerhardt das schöne Adventslied "Wie soll ich dich empfangen" und die bekannten Weihnachtslieder "Fröhlich soll mein Herze springen", "Ich steh an deiner Krippe hier" und "Kommt und lasst uns Christum ehren".

Wie viel mehr müssten wir zum Lernen der Freude motiviert sein! Zumal es eine Freude jenseits der Umstände gibt, eine geistliche Freude, sagen wir die Christusfreude des Lebens, der Auferstehung, der Nähe zu Gott und zu Menschen.



last update: 31.08.2015