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Die Arbeiter im Weinberg

Predigt 30. Juli 2006, von Pfr. Jakob Vetsch
St. Anna-Kirche und Kirche Zürich-Matthäus


Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Hausherrn, der gleich am frühen Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg in Dienst zu nehmen. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Tagelohn von einem Denar und schickte sie in seinen Weinberg. Auch um die dritte Stunde ging er aus, und als er andere untätig auf dem Markt herumstehen sah, sagte er zu ihnen: "Geht auch ihr in meinen Weinberg; ich will euch geben, was recht ist." Sie gingen hin. Um die sechste und neunte Stunde ging er abermals aus und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde ausging, sah er noch andere herumstehen. Er fragte sie: "Was steht ihr den ganzen Tag müßig herum?" Sie sagten: "Niemand hat uns eingestellt." Er erwiderte ihnen: "Geht auch ihr in meinen Weinberg!"
Als es Abend geworden war, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: "Rufe die Arbeiter und zahle ihnen den Lohn aus, angefangen mit den letzten, bis zu den ersten." Da kamen die, die er um die elfte Stunde eingestellt hatte, und erhielten je einen Denar. Als dann die ersten kamen, dachten sie, sie würden mehr erhalten. Aber auch sie erhielten je einen Denar. Als sie ihn aber erhielten, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: "Die Letzten da haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages und die Hitze ertragen haben." Da sagte er einem von ihnen: "Freund, ich tue dir kein Unrecht. Bist du nicht für einen Denar mit mir einig geworden? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will dem Letzten ebensoviel geben wie dir. Oder darf ich mit meinem Eigentum nicht machen, was ich will? Bist du etwa neidisch, wenn ich (zu anderen) gütig bin?" So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.                                                  
Matthäus-Evangelium 20,1-16

Der heutige Bibeltext ist sehr bekannt, seine Interpretation jedoch äusserst umstritten. Der Theologe Ernst Wolf (1902-1971) beklagte einmal die "fast nicht zu ordnende Mannigfaltigkeit der Auslegung, der Deutung, der Verwendung, auch des Missbrauchs" dieses Gleichnisses. Ich möchte mich deswegen diesen Worten Jesu zunächst nicht intellektuell oder gar wissenschaftlich nähern, sondern ein Gegen-Gleichnis dazu erzählen, das einmal zwei Männer ausgedacht haben (Jonas Böhnke und Johannes Rausch):

Ein Mann namens Titus Gladius lebte in der Großstadt Rom. Er war ein armer Mann und hatte drei Kinder und eine Frau zu versorgen. Als Tagelöhner hatte er manchmal im Hafen zu tun, trotzdem nagten sie am Hungertuch.
Eines Tages stand er wie üblich vor den großen Handelsschiffen der reichen Händler und bettelte um Arbeit. Doch alle entgegneten gereizt: "Scher dich, Abschaum!" und jagten ihn weg. So ging es den ganzen Tag, der für ihn sowieso kein Tag mehr war. In seinen Gedanken malte er sich die hungernde Familie aus, wenn er ohne Geld nach Hause kommen würde.
Es war schon am späten Nachmittag, als ein vornehmer Händler an ihn herantrat und ihn für diesen Tag noch in seine Dienste stellen wollte. In ihm keimte glücklich ein Funke Hoffnung auf. Er half noch eine Stunde beim Entladen der Fracht und bat dann um seinen Lohn. Doch der Händler schaute ihn nur grimmig an und meinte: "Eine einzige Stunde hast du gearbeitet! Dafür willst du auch noch Geld haben?! Verschwinde, du Asylant!"

Wie immer wir über das Gleichnis denken mögen, darin werden wir uns wohl einig sein: So wie hier beschrieben, ist Gott - mit dem Jesus uns bekannt machen möchte - auf keinen Fall! Eine solche Enttäuschung bereitet er keinem ehrlichen Menschen. Dies ist das Erste, das festgehalten sein soll: Das Gleichnis verwendet ein praktisches Bild aus der Arbeitswelt, aber es redet vom Himmelsreich. Der Künstler Rembrandt hat den Text wohlüberlegt aufgenommen und lässt vom Fenster her helles Sonnenlicht in die alltägliche, ernste Szene einfallen. Die Geschäftigkeit erhält einen anderen, ungeahnten Glanz. Hinten rollt einer ein Weinfass davon. Vorne rechts und in der Mitte behäbig geborgen und lustig spielend die Haustiere. Da tut sich was! Verdutzt, konsterniert aber Gesichter von Menschen, die verblüfft nachfragen oder schon eifrig diskutieren.

ArbeiterWeinberg.jpg

Rembrandt: Die Arbeiter im Weinberg, Holztafel, 31 x 42 cm, signiert und datiert:
Rembrandt f. 1637; St. Petersburg, Eremitage

Mit dem Hausherrn, der nach den Arbeitern für seinen Weinberg Ausschau hielt und ihnen nach verrichtetem Werk den Lohn übergab, meint Jesus Gott. Wir haben es hier also nicht mit irgendwelchen Anweisungen für das Wirtschaftsleben zu tun, sondern mit der Jesus-Rede von Gott. Damit ist aber keineswegs die Behauptung aufgestellt, dass dieses Gleichnis - wenn wir es hören, wenn es zu uns spricht, unsere Herzen ergreift und Gestalt in unserem Leben annimmt - nicht auch ins Wirtschaftsleben hineingreifen und es verändern soll!

Wir lernen da also von Gott. Wenn wir das wirklich tun wollen, sollten wir uns noch etwas vor Augen halten: Was Gott an uns Menschen wirkt, kann ganz verschieden erlebt werden, je nach dem, was wir wissen - oder eben nicht wissen - und je nach dem, was wir für eine Optik einnehmen.
Ein kluger Religionslehrer hat einmal seine Schüler dazu angehalten, sich zu überlegen, was in den Arbeitern auf dem Nachhauseweg wohl vor sich gegangen sein mag und was sie nachher ihren Freunden oder den Frauen erzählten (siehe Halbfas 5/6, Gleichnisse: Die Arbeiter im Weinberg - zu Ende erzählt durch zwei Arbeiter). Ich greife zwei Schülerantworten heraus:

Einer von den ersten Arbeitern traf auf dem Weg nach Hause seinen Freund. Er erzählte ihm die Geschichte so: "Wir haben früh am Morgen angefangen zu arbeiten. Es kamen immer mehr Arbeiter dazu. Am Abend, nach Sonnenuntergang, teilte er den Lohn aus. Er begann bei den Letzten. Er gab jedem einen Denar. Als letztes kamen wir an die Reihe. Er gab uns auch nur einen Denar, obwohl wir schon viel länger gearbeitet hatten. Also sind wir uns beschweren gegangen, doch der Gutsherr antwortete uns, die Ersten werden die Letzten sein. Zu diesem Gutsherrn gehe ich nicht mehr arbeiten."

Einer von den letzten Arbeitern aber, der nur eine Stunde gearbeitet hatte, kam froh zu seiner Familie nach Hause. Er sagte zu seiner Frau: "Der Besitzer des Weinbergs hat sich nacheinander Arbeiter geholt. Ich kam erst in der letzten Stunde. Am Abend teilte er den Lohn aus. Er fing bei mir an und gab jedem einen Denar, bis nach vorne zu den Ersten. Die beschwerten sich, weil sie nur einen Denar bekommen haben, obwohl sie den ganzen Tag gearbeitet hatten. - Aber ich finde das gütig von ihm, denn er hat mich erst spät am Abend gesehen. Ich habe so lange gewartet, und wenn er mich früher entdeckt hätte, hätte ich genau so lang gearbeitet wie die Ersten. Endlich gehen unsere Kinder nicht hungrig ins Bett."

Liebe Gemeinde! Wir deuten den Alltag nicht alle gleich. Die Optik ist verschieden. Und wir benötigen auch nicht alle dasselbe. Der Text steht quer zur alltäglichen Wirklichkeit. Er ist weit entfernt von dem, was wir unter Gerechtigkeit sehen und praktizieren. Er ist aber auch kein Rezept. Er redet von Gott. Wir haben es hier mit einem Text zu tun, der uns zurufen will: "Denk nach!" Es ist ein Text, der uns mit seiner unkonventionellen Rede von Gott die Herzen für eine neue Wirklichkeit öffnen möchte. Er will uns bewahren vor Selbstgerechtigkeit, und er will uns dazu anhalten uns Gedanken zu machen über eine soziale Gerechtigkeit. Indem er davon berichtet, dass alle gleich viel bekommen, obwohl einige mehr gearbeitet haben, möchte er unsere Blicke für die Gnade schärfen: Für das Geschenk gegenüber denjenigen, die nicht so viel arbeiten konnten und dafür, dass es vielleicht auch ein Geschenk ist, arbeiten zu dürfen. Dafür, dass die Gnade letztlich allen gilt, auch wenn es äußerlich ganz anders aussieht.

Darum vielleicht warnte Moses: "Du sollst nicht begehren nach irgendetwas, was dein Nächster hat." (2. Mose 20,17)  Der neidische Blick und das Vergleichen bringen nichts. Sie binden die Kräfte nur negativ. Sie machen unglücklich.
Darum vielleicht hält Jesus uns an, es wie Gott zu tun, der die Sonne über Böse und Gute aufgehen lässt (Matthäus 5,45). Das hört sich so leicht an und doch erscheint es uns im Alltag so schwer. Darum ist es gut, dieses Gleichnis immer wieder mal zu hören und sich stören zu lassen von dem, was da Jesus über Gott sagt.

Ein Gebet zum Gleichnis, von Bernhard Scholz

Gott, von deiner Liebe leben wir alle,
und doch teilen wir die Menschen ein
in solche, die viel, und solche, die wenig leisten,
in solche, die mehr, und solche, die weniger taugen.
Durchkreuze unsere Einteilungen
und lass uns danach fragen,
wer Zuwendung und Güte braucht.
Von deiner Liebe leben wir, Gott.

Wir berechnen, was wir verdient haben
an Zuwendung und Wohlergehen,
was uns geschuldet wird an Anerkennung und Verständnis,
wie oft wir zu kurz kommen im Vergleich zu anderen.
Mach einen Strich durch unsere Rechnungen
und lass uns erkennen:
Von deiner Liebe leben wir, Gott.

Unsere Rangordnungen überwinde,
damit unser Herz sich auch für den Letzten öffne.
Und wenn wir von der Höhe unserer Selbstüberschätzung herabstürzen,
fange uns auf mit deiner Güte.
Dann sind wir erlöst,
weil wir nicht mehr beweisen müssen,
wie stark und bedeutend wir sind.
Wir sind erlöst,
weil wir Frieden machen können mit unserer Schwachheit.
Denn deine Barmherzigkeit schenkt uns Flügel,
und von deiner Liebe leben wir, Gott.


last update: 30.04.2015